Fotoausstellung in der Uni-Kirche: Forschende im Exil

16 Dezember 2022

In vielen Ländern können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrem Beruf nicht frei nachgehen und müssen ins Exil flüchten. Eine Fotoausstellung in der Universitätskirche zeigt Portraits von Betroffenen. Mit einer Podiumsdiskussion wurde die Ausstellung eröffnet.

Akademische Freiheit ist ein wertvolles Gut – leider ist sie in vielen Ländern auf der Welt nicht gegeben. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit müssen jedes Jahr ins Exil flüchten. Die Wander-Fotoausstellung des Fotografen Pierre-Jérôme Adjedj und der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Pascale Laborier, Kuratorin der Ausstellung, beschäftigt sich mit diesem Thema und zeigt Portraits von geflüchteten Forschenden. Bis zum 10. Februar 2023 ist die Ausstellung „Standing for Freedom. Portraits of Scientists in Exile“ in der Universitätskirche zu sehen, eröffnet wurde sie mit einer Podiumsdiskussion. Neben dem Fotografen selbst diskutierten Prof. Zekeriya Aktürk (Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung an der TU München) und Prof. Karin Scherschel (Flucht- und Migrationsforschung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt), moderiert wurde die Runde von Prof. Timothy Williams, Juniorprofessor für Unsicherheitsforschung und gesellschaftliche Ordnungsbildung sowie von Prof. Isabelle Deflers, Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit von der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften (beide Universität der Bundeswehr München).

Akademische Freiheit in vielen Ländern bedroht

„Ich habe gezählt, wie viele Länder ich im Katalog habe und dabei gedacht: Es geht schneller, die Länder zu zählen, wo die akademische Freiheit garantiert ist, als die, in denen diese bedroht ist“, so Fotograf Pierre-Jérôme Adjedj. Das Treffen mit jeder einzelnen Person habe ihn bewegt und verändert. Für das Projekt entschied er sich gegen klassische Portraits und stattdessen für Fotos, die aus verschiedenen Schichten bestehen: Dem Portrait selbst, Motiven aus dem Herkunftsland, dem Aufnahmeland und persönlichen Gegenständen. Fotografiert hat er all das mit einer einzigen Aufnahme durch ein eigens entwickeltes System mit einem Spiegel auf Rollen und einer Langbeleuchtung. Bei jedem Shooting habe es Zufälle gegeben, die alle Fotos unterschiedlich haben werden lassen – genauso wie es auch die Geschichten der ins Exil geflohenen Forschenden sind.


Zwei großformatige Bilder, davor steht – von hinten zu sehen – ein Mann und betrachtet eines davon, zu sehen ist eine Person of Color in hellem Hemd, im Hintergrund sind Palmen zu sehen. Der Mann auf dem Bild hält sich den angewinkelten Arm vor einen Teil seines Gesichts. Das andere Bild zeigt Menschen mit Spruchbändern, vermutlich eine Demonstration.

In der Universitätskirche ist die Fotoausstellung des Fotografen Pierre-Jérôme Adjedj bis zum 10. Februar 2023 zu sehen (© Universität der Bundeswehr München/Siebold)

11 Monate ohne Anklage in Haft

Die persönliche Geschichte von Prof. Zekeriya Aktürk veranschaulichte besonders eindrücklich, was die Bedrohung der akademischen Freiheit bedeuten kann. Er musste wegen Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit an türkischen Universitäten nach Deutschland ins Exil fliehen. In seinem Heimatland Türkei war er ein renommierter Universitätsprofessor, bis sich sein Leben mit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 abrupt änderte. Über 120.000 Beamte wurden innerhalb von Tagen entlassen, erzählt er, davon über 7.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universitäten, 15 Universitäten wurden komplett geschlossen. Zwei Monate nach dem Putschversuch wurde auch Aktürk verhaftet. Er kam ins Gefängnis in eine Zelle mit 14 anderen Festgenommenen und saß dort monatelang ohne Anklage. Erst nach elf Monaten erhielt er seine Anklage: „Es war Unsinn, nichts war dran, nur Behauptungen“, so Aktürk. Nach 14 Monaten und einer Woche Haft wurde er schließlich entlassen.

Die Zeit im Gefängnis war hart für ihn, mental wie körperlich: Aufgrund einer Erkrankung an seiner Speiseröhre musste er operiert werden, durfte nicht essen und lag auf der Intensivstation mit Sonden und Kathetern. Trotzdem war er mit einer Handschelle an sein Bett gefesselt, seine Familie durfte er nicht sehen. Dass ihn dieses Schicksal einmal treffen würde, hätte er nicht für möglich gehalten: „Wenn man fragen würde, was für einen Bürger sich der türkische Staat wünscht, würde ich mich als Beispiel nennen“. In München arbeitet er mittlerweile an der TUM als wissenschaftlicher Mitarbeiter, erst vor wenigen Tagen bekam er seinen Titel als Facharzt für Allgemeinmedizin.

Flucht und Exil

Wie die Begriffe „Exil“ und „Flucht“ zusammenhängen, erklärte Prof. Karin Scherschel. Flucht sei für sie der weitaus größere, umfassendere Begriff und Exil der spezifische Begriff, der sich auf spezielle Ausschnitte bezieht. Aus einem historischen Kontext entstanden hatte der Begriff Exil lange eine ganz bestimmte Gruppe von Personen, nämlich Intellektuelle, im Blick. Gemeinsam habe die Exil- und Fluchtforschung vor allem eines: Sie befasse sich mit Menschen, die unter Zwangsbedingungen ein neues Leben beginnen müssen – so auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf den Portraits der Fotoausstellung zu sehen sind.


Titelbild (v.l.n.r.): Prof. Timothy Williams, Prof. Zekeriya Aktürk, Prof. Karin Scherschel, Pierre-Jérôme Adjedj und Prof. Isabelle Deflers eröffneten die Fotoausstellung mit einer Podiumsdiskussion. (© Universität der Bundeswehr München/Siebold)