Arbeitswelt von Morgen: neue Forschungsinitiative INDOR stellt sich vor

12 Mai 2021

Geisteswissenschaftler verschiedener Fachbereiche beschäftigen sich auf breiter Ebene mit Fragen zur Zukunft der Arbeitswelt. In der neu gegründeten Forschungsinitiative „Individuum und Organisation in der digitalisierten Gesellschaft“ bündeln sie ihre Kompetenzen an der UniBw M.

Neben Forschungszentren wie CODE, SPACE oder MOVE fördert die Universität der Bundeswehr München seit 2020 fakultätsübergreifende Forschungsinitiativen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unserer Universität sowie externe Partner vernetzen. Gemeinsam und interdisziplinär werden bei INDOR Forschungsthemen aus den Gesellschaftswissenschaften untersucht. Die erste so gegründete Forschungsinitiative „Individuum und Organisation in der digitalisierten Gesellschaft“, kurz INDOR, widmet sich dem Zusammenspiel von Individuen und Organisationen in der Arbeitswelt und beschäftigt sich auch mit einem wesentlichen Ziel des Studiums für Offiziere: der Ausbildung von Führungskräften. Die Initiative INDOR wird koordiniert von den beiden Initiatoren Prof. Stephan Kaiser, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement und Organisation sowie Prof. Bernhard Ertl, Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Lernen und Lehren mit Medien.

Wie die Geistes- und Sozialwissenschaften selbst, sind auch die Themen der Initiative INDOR breit aufgestellt. Die Initiative bündelt die Forschungskompetenz der UniBw M in diesen Bereichen. Untersuchungsfragen von INDOR lauten etwa: wie können Organisationen die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern und erhalten, wie verändern sich die Arbeitswelt und die Führung durch die Digitalisierung, wie attraktiv gestalten Organisationen sich bei Fachkräftemangel für potenzielle Mitarbeitende oder wie lassen sich Innovationen in Unternehmen hervorbringen.

An der UniBw M werden die zukünftigen Führungskräfte der Bundeswehr auf unterschiedlichen Ebenen ausgebildet. Je nach Studiengang bekommen sie Fachwissen im technischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftswissenschaftlichen Bereich vermittelt. Als Führungskräfte werden sie im Kontext der Organisation Bundeswehr beschäftigt, müssen sich als Führungspersonen aber auch auf die individuellen Menschen einstellen können, die ihnen anvertraut werden. In der Forschungsinitiative werden Ergebnisse aus der Forschung gebündelt mit dem Ziel, Organisation und Individuen in Einklang zu bringen. In Zukunft möchte INDOR an der Universität dazu beitragen, dem Offiziernachwuchs aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung zu Führungsverhalten an die Hand zu geben.

Die Auftaktveranstaltung der Forschungsinitiative fand am 7. Mai 2021 als Online-Konferenz statt. Zu Beginn sprach die Präsidentin der Universität Prof. Merith Niehuss in ihrem Grußwort ihre Anerkennung für die Initiative aus. Die Präsidentin betonte die Bedeutung eines so großen Clusters an Forscherinnen und Forschern vornehmlich aus den Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für die Universität. Jetzt käme es darauf an, gemeinsame Projekte zu verfolgen und den überfakultären Gedanken der Zusammenarbeit auch in die Realität umzusetzen, sagte sie.

Organisation und Individuum im Wechselspiel

Für einen etwas anderen Start in die Konferenz sorgte ein Film, in dem ein Tanzpaar im Tangoschritt die Themen, mit denen sich die Forschungsinitiative beschäftigen wird, präsentierte. Prof. Karl-Heinz Renner, Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik, der mit seiner Forschung Teil der Initiative INDOR ist, übernahm anschließend die Interpretation des Films. Tanz sei als Metapher für Organisationen nicht neu, im Kontext der Veranstaltung zeige der Tanz das Wechselspiel zwischen Individuum und Organisation.

Menschen verbringen einen Großteil ihrer Arbeitszeit in Organisationen, seien es Firmen, Behörden oder auch Bildungseinrichtungen. Diese Organisationen haben also allein durch die mit ihnen verbrachte Zeit einen enormen Einfluss auf die einzelnen Personen als Individuen, auf ihr Befinden und ihre Entwicklung. Gleichzeitig ist eine Organisation ohne ihre Mitglieder nicht denkbar, die Individuen prägen die Organisationen durch ihre Werte, ihre Motivation und ihre Handlungen. Die Aufgabe von Führungskräften ist die Gestaltung dieses Verhältnisses zwischen Individuum und Organisation. Wie dies aussehen kann, auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelt, ist Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte in der Forschungsinitiative INDOR.

Drei Impulsvorträge prominenter und fachkundiger Gäste zu den aktuellen Herausforderungen des Arbeitsmarktes bereicherten die Auftaktveranstaltung. Die Arbeitswelt wandelt sich, denn alte Unternehmenskulturen mit strengen Hierarchieebenen haben es im digitalisierten 21. Jahrhundert schwer. Um die viel besprochenen Work-Life-Balance der Beschäftigten zu gewährleisten und auch sonst ein attraktiver Abreitgeber zu sein, sind Veränderungen nötig. Auch die Covid-19-Pandemie hat ihren Anteil am Wandel der Arbeitswelt der Zukunft.

Die Arbeitswelt der Zukunft gestalten

Brigadegeneral Frank Reiland, Abteilungsleiter im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, gab Einblicke in die Personalgewinnung bei der Bundeswehr. Er erläuterte, wie aus seiner Sicht modernes Recruiting aussieht und wie sich die Bundeswehr in den letzten Jahren aber auch ganz aktuell in Zeiten der Pandemie präsentiert. Seine Botschaft lautete, dass Recruiting passgenau auf die Zielgruppe und die Events, auf denen die Bundeswehr sich präsentiert, zugeschnitten sein müsse. Er stellte fest, dass die Generation Z (je nach Definition Teenager und junge Erwachsene, die ab ca. 1995 geboren wurden) ganz andere Erwartungen an ihre künftigen Arbeitgeber habe als frühere Generationen. Immer neu und abwechslungsreich müsse man der jungen Generation vermitteln, dass sie Spaß und Sinn bei der Arbeit finden und verbinden können. Die Bundeswehr veranstaltet daher in der Pandemie Online-Karriere-Messen, bei denen Interessierte virtuell verschiedene Stationen besuchen können. Auch die Anforderungen an Führungskräfte wandeln sich mit der Zeit, somit müssten auch Organisationen wie die Bundeswehr sich anpassen um der nächsten Generation gerecht zu werden.

Janina Kugel, Aufsichtsrätin, Beraterin, Autorin und ehemaliges Vorstandsmitglied der Siemens AG, stellte in ihrer Keynote die Frage, ob die Pandemie wirklich ein so großer Treiber der Digitalisierung der Arbeitswelt war, wie seit Beginn behauptet wird. Aus ihrer Sicht habe die Pandemie einmal mehr die wichtigen Kompetenzen von Führungskräften gezeigt. Gute Führungskräfte müssten wissen, was ihre Mitarbeitenden privat bewegt und wie ihr Alltag auch außerhalb der Arbeit aussehe. Viele schafften es nicht, die üblichen „Kaffeeküchengespräche“ in den digitalen Raum mitzunehmen. Daher wäre ihr Tipp zu Beginn aller Meetings am Telefon oder per Videocall zumindest für fünf Minuten nicht über arbeitsbezogene Themen zu sprechen, sondern sich auf einer persönlichen Ebene auszutauschen. Aus ihrer Erfahrung berichtete sie, dass es immer wieder Führungspersonen in Positionen gebe, die eigentlich gar nicht gern und daher oft auch nicht gut führen könnten. Die Kultur in der Arbeitswelt müsse sich dahingehend ändern, dass es auch möglich sei, einen Schritt zurück zu machen und aus einer Führungsposition auszuscheiden.

Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin Digitalisierung und Arbeitswelt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, gab interessante Einblicke in die Arbeit ihres Ministeriums für die Zukunft der Arbeitswelt in Deutschland. Dort werden mögliche Szenarien für eine Zukunft 2040 erdacht und grundlegende Weichen gestellt um diese zur realisieren. Sie sagte, durch die Pandemie sei das Spektrum plausibler Zukunftsszenarien breiter geworden, der Bedarf an neuen Arbeitsplätzen sei gewachsen. Der Fachkräftemangel der letzten Jahre offenbarte sich laut Borggräfe in der Krise nicht nur im Tech-Bereich, sondern vor allem auch im Pflege- und Medizinbereich. So erkenne man im Ministerium, dass es einen erhöhten Bedarf an Weiterbildung und Umschulung gebe. Auch im Bereich von Behörden als Organisationsform sehe sie großen Änderungsbedarf, man müsse deren Struktur systemisch hinterfragen und neu denken. Mehr Diversität und eine neue Führungskultur sind für sie wie auch Brigadegeneral Reiland Bausteine für die neue Arbeitswelt.

Forschung zur Gestaltung der Arbeitswelt aus der UniBw M

Nach einer Pause mit leichten Lockerungsübungen für die Teilnehmenden vor den Bildschirmen unter Anleitung von Dipl.-Sportwiss. Tobias Pylypiw präsentierten drei Mitglieder der Initiative aktuelle Forschungsprojekte an der Universität der Bundeswehr München.

Prof. Renner berichtete über seine Forschung zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) im Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg). Im Zuge seines Forschungsprojektes wurde im Ministerium ein Programm zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement mit Bewegungsangeboten sowie Angeboten zur Stressprävention für die Beschäftigten eingeführt. Prof. Renner evaluierte die Gründe für eine Teilnahme sowie für die Nicht-Teilnahme. Als Fazit war zu erkennen, dass die BGF-Maßnahmen insgesamt gut angenommen werden, aber noch nicht alle mit Stresserscheinungen belasteten Beschäftigten erreichen. Um die Teilnahme zu fördern, müssten laut Prof. Renner individuelle, organisatorische, führungsbezogene sowie sozial-kommunikative Bedingungen berücksichtigt werden. Die größte Herausforderung sei es psychische Fitness als genauso wichtig wie physische Fitness zu etablieren, dafür sei die Fürsprache von Führungskräften gegenüber ihren Mitarbeiterinne und Mitarbeitern enorm wichtig.

Danach folgte ein Überblick über die aktuelle Forschung zu Online-Arbeitsmärkten (OAM) von Prof. Frank Müller-Langer, Professur für Digitale Transformation. Dies sind virtuelle Plattformen, auf denen Individuen (Freelancer) oder Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten, Klienten können sie über die Plattform suchen und nachfragen. Im Januar 2021 veröffentlichte Prof. Müller-Langer eine Fallstudie zu den Auswirkungen von Mobilitätsbeschränkungen durch die Covid-19-Pandemie auf Arbeiten, die vor Ort in Unternehmen durchgeführt wurden im Vergleich zu Arbeiten, die ortsunabhängig online stattfanden. Dafür nutzte er anonymisierte Unternehmensdaten einer großen europäischen OAM-Plattform. Seine Ergebnisse waren, dass die Einschränkung der Mobilität die Kosten der Arbeit vor Ort erhöhten im Vergleich zur Arbeit online. Dies führte zu einer erhöhten Nachfrage und Beschäftigung von Online-Arbeit, wohingegen im weltweiten Vergleich laut anderer Studien negative Auswirkungen der Pandemie auf die Gesamtbeschäftigung festgestellt werden konnten. Klienten auf der untersuchten OAM-Plattform ersetzten Vor-Ort-Beschäftigung durch Online-Beschäftigung bei insgesamt gleichbleibender Beschäftigung. Die Flexibilität von OAM könnte laut Prof. Müller-Langer dabei helfen negative Effekte im Arbeitsmarkt im Zuge der Pandemie abzuschwächen.

Am Ende der Veranstaltung gab Prof. Sebastian Manhart, Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationspädagogik, einen Einblick in seine Forschung zum Nutzen menschlicher Individuen für die Organisation. In einem Schnelldurchlauf durch die Weltgeschichte zeigte er Beispiele für frühe Organisationsstrukturen wie das Beamtentum im alten Ägypten. Dort funktionierten beispielsweise Organisation und Buchführung hervorragend, doch zogen die damaligen beamten keinerlei Rückschlüsse aus ihren Aufzeichnungen, sodass Abläufe nie verändert oder verbessert werden konnten. Anhand dieser und anderer Anekdoten aus dem 16. bzw. aus dem 20. Jahrhundert zeigte er, dass menschliche Individuen notwendigerweise auf Organisationen einwirken müssen um Annahmen zu korrigieren und Fortschritt zu erzielen. Seine Forschung untersucht welche Konsequenzen Organisationen aus den individuellen Eigenschaften ihrer Mitglieder ziehen müssen.

 

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Professorinnen und Professoren verschiedener Fakultäten unserer Uni zu Beginn der Auftaktveranstaltung der Forschungsinitiative INDOR (© Universität der Bundeswehr München)

Eine Diskussionsrunde zwischen den Teilnehmenden und den Forschenden schloss die Auftaktveranstaltung ab. Prof. Ertl bedankte sich im Namen des Organisationsteams bei allen Beteiligten und bedauerte, sicher nicht als einziger, dass man momentan nicht auf die gelungene Auftaktveranstaltung gemeinsam anstoßen könne. Die Forschungsinitiative INDOR wird in Zukunft mit Vortragsreihen und weiteren Veranstaltungen ihre Arbeit präsentieren, wo dies nachgeholt werden könnte

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Weitere Informationen zu INDOR finden Sie auf der Webseite der Forschungsinitiative >>>


Titelbild: © iStockphoto / metamorworks; Universität der Bundeswehr München