Welchen Effekt haben die Wirtschaftssanktionen gegen Russland?

28 Februar 2022

Prof. Karl Morasch ordnet die Sanktionen gegen Russland aus spieltheoretischer Perspektive ein.

Ein Beitrag von Prof. Karl Morasch, Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik

Die Spieltheorie beschäftigt sich mit der Modellierung strategischer Situationen. Bereits mit einer sehr einfachen Spielstruktur lassen sich dabei die grundsätzlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Einsatz von Wirtschaftssanktionen in der Ukraine-Krise veranschaulichen. In einfachster Form kann die Situation dabei als ein Spiel zwischen Russland und dem Westen, also EU und NATO, betrachtet werden, in dem zunächst Russland sich für oder gegen eine aggressive Handlung entscheiden kann und der Westen dann bei Vorliegen einer Aggression Wirtschaftssanktionen verhängt oder darauf verzichtet.

Zunächst ist zu beachten, dass Wirtschaftssanktionen insbesondere eine abschreckende Wirkung entfalten sollen. Für die wirksame Androhung von Sanktionen müssen darum zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen muss die negative Wirkung von tatsächlich verhängten Maßnahmen so stark sein, dass Russland es vorzieht, auf die aggressive Handlung zu verzichten. Zum anderen muss es aber auch glaubwürdig sein, dass der Westen die angedrohten Sanktionen im Fall einer russischen Aggression tatsächlich verhängt. Da sich die Sanktionen auch für den Westen wirtschaftlich negativ auswirken, ist es jedoch schwierig, beide Bedingungen gleichzeitig zu erfüllen: Die erste Bedingung verlangt Maßnahmen mit drastischer Wirkung, die aber dann auch höhere Kosten für die Länder des Westens haben, was die Glaubwürdigkeit der Drohung verringert.

Negativer wirtschaftlicher Effekt für Russland fast zehnmal so hoch wie für die EU-Länder

Die wirtschaftliche Wirkung der konkreten Maßnahmen sollte somit nicht nur im Eigeninteresse des Westens, sondern auch zur Erzielung diese Glaubwürdigkeit, möglichst asymmetrisch zuungunsten von Russland sein. Da die EU für Russland der wichtigste Handelspartner ist, während die Bedeutung von Russland für den gesamten Außenhandel der EU-Länder eher gering ist, ist dies bei geeignet gestalteten Handelssanktionen grundsätzlich gegeben. Dies zeigen auch empirischen Abschätzungen der wirtschaftlichen Wirkung der Sanktionen, die im Anschluss an die Annektierung der Krim verhängt wurden: Nach einer ifo-Studie von 2020 ist der negative wirtschaftliche Effekt für Russland demnach fast zehnmal so hoch wie derjenige für die EU-Länder. Auch die geplanten Sanktionen im Finanzbereich verursachen für die Länder des Westens keine hohen Kosten, schränken aber die wirtschaftlichen Möglichkeiten Russlands auch im Handel mit Drittländern drastisch ein.

Sehr viel problematischer wären Sanktionen jedoch bei Rohstoffimporten aus Russland. Zwar hätte Russland auch hier sehr hohe wirtschaftliche Kosten, aber aufgrund der Abhängigkeit der EU und insbesondere Deutschlands von Gasimporten aus Russland sind auch die Kosten für die Länder des Westens sehr hoch. Zudem besteht hier das Problem, dass die Effekte der Sanktionen für die einzelnen Länder sehr unterschiedlich sind – Sanktionen im Bereich von Gasimporten aus Russland sind für Deutschland wirtschaftlich deutlich negativ, während sie für die USA möglicherweise sogar positiv sind, da Deutschland damit zumindest teilweise auf LNG-Importe aus den USA zurückgreifen muss.

Koordination von Sanktionen innerhalb von NATO und EU erfüllt zwei verschiedene Funktionen

Die bereits im Vorfeld erfolgte Koordination von Sanktionen innerhalb von NATO und EU hatte in diesem Kontext zwei Funktionen: Zum einen ermöglicht sie eine Koordination auf Maßnahmen, die möglichst effizient sind und eine ungleiche Belastung der Partnerstaaten minimieren. Zum anderen begünstigt die Koordination die Glaubwürdigkeit, indem sie das Ausscheren einzelner Länder aus dem Sanktionsregime erschwert, wenn tatsächlich Sanktionen verhängt werden müssen.

Wenn die Sanktionen schon im Vorfeld koordiniert wurden, warum wurden die konkreten Maßnahmen dann ausdrücklich nicht bekanntgegeben? Auch dies kann spieltheoretisch erklärt werden: Unsicherheit bezüglich der konkreten Maßnahmen ist insofern von Vorteil, als manche Optionen, wie beispielsweise der Ausschluss von SWIFT, so drastisch sind, dass es schwierig ist, die Durchsetzung wirklich glaubwürdig erscheinen zu lassen. Bei einer Liste mit konkreten Maßnahmen hätte der Westen dann vor diesem Hintergrund auf eine solche Option wohl explizit verzichtet. Solange die konkreten Maßnahmen aber nicht bekannt gegeben werden, besteht aufgrund der Unsicherheit aber eine positive Wahrscheinlichkeit für diese extremen Optionen, wodurch sich die erwarteten Kosten für Russland erhöhen.

Eine abschließende Bemerkung zur (fehlenden) Wirksamkeit der Sanktionen: Dass es trotz der angekündigten Wirtschaftssanktionen zum Angriff Russlands auf die Ukraine kam, dürfte vermutlich nicht an der mangelnden Glaubwürdigkeit des Westens liegen, solche Sanktionen zu verhängen (sie wurden inzwischen ja auch beschlossen), sondern vielmehr daran, dass von Putin die Kosten von Wirtschaftssanktionen grundsätzlich als geringer eingeschätzt hat als die Vorteile des aggressiven Verhaltens. Die Androhung von Wirtschaftssanktionen und die anderen Maßnahmen zur Erhöhung der russischen Kosten, wie die Unterstützung der Ukraine durch wirtschaftliche Beihilfen und Waffenlieferungen, haben somit einfach nicht ausgereicht, seine Entscheidungskalkül zu verändern. Die einzige Alternative wäre dann die Zusage an die Ukraine gewesen, im Fall eines russischen Angriffs militärischen Beistand zu leisten, wozu die USA und die anderen NATO-Partner aus verständlichen Gründen aber nicht bereit waren.


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