Satelliten-Megakonstellationen verändern Mobilfunknetze

13 September 2021

Prof. Andreas Knopp, Leiter des Instituts für Informationstechnik an der Universität der Bundeswehr München und Prof. Christian Hofmann, Juniorprofessor für Sichere Weltraumkommunikation, untersuchten mit einem Team von Doktoranden im Auftrag der Raumfahrtagentur des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den technischen und ökonomischen Status der wichtigsten im Aufbau befindlichen Satelliten-Megakonstellationen.

Satelliten-Megakonstellationen sind das zentrale Konzept der "New Space Economy". Sie bestehen aus Hunderten oder Tausenden von Kleinsatelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn. Die Satelliten bilden ein Informationsnetzwerk, um neue Dienste für Endverbraucher am Boden und auch für Anwendungen in der Luft bereitzustellen.

Bei der Trendanalyse hat sich gezeigt, dass die meisten dieser Konstellationen tragfähige Geschäftsmodelle aufweisen und trotz des erheblichen Kapitalbedarfs über eine absehbar gesicherte Finanzierung verfügen. Die Wettbewerbsfaktoren sind dabei vielfältig und reichen von erheblichem Technologievorsprung bei Schlüsseltechnologien über besondere Kundenzugänge bis hin zur beherrschenden Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette. Besonders vielfältig und oft nicht leicht zu durchschauen sind die Geschäftsmodelle der Firmen, insbesondere wenn der Bau und Betrieb der Megakonstellation nur ein Baustein eines komplexen Portfolios von digitalen Mehrwertdiensten für unterschiedlichste Kundengruppen ist.

Gefahren und Chancen

Gerade solche Konstellationen können aus makroökonomischer Sicht eine Bedrohung für die informationelle Souveränität Deutschlands und Europas sein, andererseits bieten sie aber auch erhebliche Chancen das Umsetzungstempo der dringend benötigten Digitalisierung unserer Gesellschaft zu beschleunigen.

Aus Sicht der Autoren dieser Trendanalyse muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Megakonstellationen die nächste Generation von Mobilfunknetzen maßgeblich mitbestimmen und dabei digitale Dienste in Schlüsselbereichen der Gesellschaft etablieren werden, die schon nach kurzer Zeit nicht mehr leicht substituiert werden können. Vor diesem Hintergrund müssen Politik und Wirtschaft in Deutschland eine Strategie im Umgang mit solchen Systemen finden, die sowohl dem Trend zur Marktbeherrschung durch Technologiekonzerne außerhalb Europas entgegenwirkt als auch die wirtschaftlichen Chancen für die exportorientierte Zulieferindustrie nutzt und wahrt. Dabei stellt vor allem die erhebliche Fertigungstiefe der aktuellen Megakonstellationen eine neue Markteintrittsbarriere dar, die nur durch klare Wettbewerbs-vorteile im Bereich der Kosten oder technologischen Leistung überwunden werden kann.

Berücksichtigt man, dass die Lebensdauer der LEO-Satelliten lediglich 5 Jahre beträgt, gegenüber einer Lebensdauer der GEO-Satelliten von >15 Jahren, so ergeben sich durchaus Chancen für die deutsche Zulieferindustrie, am Geschäft mit den Nachfolgesatelliten in einem überschaubaren Zeitrahmen zu partizipieren. Die Betreiber von Megakonstellationen, auch die mit einer hohen eigenen Wertschöpfungstiefe, werden immer Kosten und Nutzen abwägen, ehe sie eine „Make or Buy“ Entscheidung in Verbindung mit den Nachfolgesatelliten treffen.

Vor diesem Hintergrund leiten die Autoren dieser Trendanalyse folgende Handlungsempfehlungen aus dieser Trendanalyse als 10-Punkte-Plan ab:

  1. Deutschland / Europa braucht Zugang zu einer eigenen Megakonstellation, sowohl zur Sicherung der Informationsfreiheit als auch für den Erhalt seiner (Telekom)Industrie und seines Technologiezugangs. Hierbei spielen verschiedene Betrachtungsdimensionen eine Rolle. Einerseits muss die heimische Industrie in die Lage versetzt werden, alle Schlüsseltechnologien einer Megakonstellation zu beherrschen und – im Gegensatz zum bisher vorherrschenden Manufakturgedanken – entsprechende Produkte in großer Stückzahl zu wettbewerbsfähigen Preisen zu liefern. Andererseits wird es technologische Bereiche geben, in denen der Technologievorsprung der konkurrierenden Unternehmen den Markteintritt stark erschwert und nur mit erheblicher Technologieförderung der öffentlichen Hand noch ermöglicht. Hier muss sorgfältig abgewogen werden, welches Förderziel erreicht werden soll, d.h. ob es um den bloßen Technologiezugang geht oder ob Marktanteile gewonnen werden sollen. Die Förderung der Entwicklung von Serienproduktionsprozessen sowie der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur sollten ein Schwerpunkt sein.
  2. Die Technologieförderung in der Raumfahrt muss ausgebaut und stärker mit anderen Industrien wie der Automobilindustrie oder der Energiewirtschaft vernetzt werden, da diese als Nutzer im Konzert der neuen digitalen Dienste in der NewSpace Economy auftreten werden. Die Technologieförderung muss dazu konsequent an strategischen Zielen ausgerichtet und durch eine Roadmap mit mittel- und langfristigen Zielen unterlegt sein. Die Ziele müssen dabei die komplette Bandbreite von der Sicherung der Technologieführerschaft in manchen Bereichen wie der optischen Kommunikation bis hin zum Aufbau neuer Kompetenzen in Wachstumsbereichen wie der künstlichen Intelligenz abdecken.
  3. Start-ups und neue Technologien müssen in besonderer Weise berücksichtigt werden, jedoch sollten für einen maximalen ökonomischen Hebel der Förderinstrumente die etablierten Raumfahrtunternehmen angehalten werden, diesen Start-ups den Weg in den noch immer speziellen und teilweise abgeschotteten Markt der Luft- und Raumfahrtindustrie zu weisen und zu ebnen und so ihrer Rolle als Systemintegrator gerecht zu werden.
  4. Deutschland und Europa müssen sich Frequenz- und Orbitrechte rechtzeitig und stärker als in der Vergangenheit sichern und diese Rechte als sensible strategische, physikalische Ressource betrachten. Vor allem höhere Frequenzen als die heute genutzten bieten hier noch Chancen, während die heute technologisch gut beherrschten niedrigen Frequenzen bereits stark besetzt sind.
  5. Die Luft- und Raumfahrtindustrie muss sich ab sofort in die Forschung zur nächsten Generation von Mobilfunknetzen (6G) einbringen und eigene weltraumbezogene Forschungsschwerpunkte definieren. 6G wird die Nutzung des Weltraums auf Jahrzehnte hin prägen und die Beeinflussung von Standardisierungsaktivitäten bietet ökonomische Chancen. Einen Ansatz bieten die 6G-Forschungsplattformen und 6G-Forschungshubs, die derzeit vom BMBF definiert werden. Diese sollten unter Führung der DLR Raumfahrtagentur als nationalem Know-How Träger durch weitere weltraumbezogene Komponenten ergänzt und wissenschaftlich vernetzt werden.
  6. Megakonstellationen sind ein probates Mittel, den Breitbandausbau in Deutschland zu beschleunigen und alle Haushalte zu ihrem „Recht auf schnelles Internet“ gem. der TKG Novelle vom Mai 2020 kommen zu lassen. Hierzu müssen Megakonstellationen jedoch als Internetserviceprovider (ISP) anerkannt und mit entsprechenden Rechten ausgestattet werden. Die Anerkennung als ISP böte zudem die Chance, auch außereuropäische Anbieter besser in den nationalen regulatorischen Rahmen zu integrieren und so die Chance auf neue Kundengruppen mit Verbraucherschutzrechten zu kombinieren.
  7. Bei den durch Megakonstellationen bereitgestellten Diensten müssen kommerzielle Services und behördliche, sicherheitskritische Anwendungen gemeinsam betrachtet werden. Anstelle getrennter Hardware für die verschiedenen Anforderungen wird die Modularisierung von Kommunikationsketten durch virtuelle softwaredefinierte Netzwerke zukünftige in den Vordergrund rücken. Auf diese Weise wird die Wirtschaftlichkeit von Megakonstellationen ebenso wie deren ökologische Nachhaltigkeit verbessert.
  8. Europa muss auf der Seite des Startsegments fortschrittlicher werden und an die technologische Leistungsfähigkeit der US-amerikanischen Wettbewerber anknüpfen. Der Zugang zu einem kostengünstigen und verlässlichen Startsegment spielt eine entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg von Megakonstellationen und ist daher eine strategische Ressource, die gesichert werden muss.
  9. Öffentlich-private Kooperationsmodelle bieten besondere Chancen für erfolgreiche Initiativen mit Bezug zu Megakonstellationen, da sie einerseits einen erhöhten Kapitalbedarf abdecken können und andererseits die Nutzer- oder Kundenanforderungen schon im Systementwurf berücksichtigt werden. In Deutschland haben verschiedene Industrien bereits Interesse an satellitengestützten Diensten gezeigt, insbesondere der Mobilitätssektor und dort mit Schwerpunkt der Automobilbereich. Wir empfehlen, den diesbezüglichen Dialog von Seiten der Raumfahrtagentur zu intensivieren oder weiter zu pflegen. Vor allem die heute erfolgreichen Konstellationen aus den USA haben gezeigt, wie wichtig private Investitionen sind, um agil zu bleiben und neue Raumfahrtprogramme abzusichern.
  10. Um Satelliten-Megakonstellationen am Ende auch profitabel betreiben zu können, sollten die unterstützten Anwendungen und Services breit gefächert sein und vorab gut untersucht werden. Grundsätzlich ist Europa für Satellitenkonstellationen ein eher schwieriger Markt, da bereits eine gute Infrastruktur existiert und die Landmasse begrenzt ist, mit hoher Konzentration der Nutzer pro Fläche. Deswegen ist es sinnvoll, solche Industrien im Systementwurf einzubeziehen, die Interesse an globalen Dienstleistungen haben und ein weit verteiltes Kundennetz adressieren. Als Beispiel dient erneut der Mobilitätssektor mit der Luftfahrtbranche und den Automobilherstellern. Weitere Beispiele aus dem Bereich der maschinellen Kommunikation sind Logistikdienstleister oder die Energiewirtschaft.

 

Nach Einschätzung der Autoren dieser Trendanalyse ist der Ausblick auf die Satelliten-Megakonstellationen trotz eines bereits erkennbaren Technologievorsprungs der außereuropäischen Systeme positiv. Mit dem entsprechenden Engagement werden Deutschland und Europa in der Lage sein, Marktanteile zu gewinnen und ökonomisch zu profitieren. Die Weichen müssen aber schnell gestellt und es muss entschlossener gehandelt werden als dies momentan den Anschein macht. Ein besonderer Vorteil Europas darf dabei nicht aus den Augen verloren werden, nämlich die Existenz von leistungsfähigen und etablierten Satellitenbetreibern aus der „Old Space Economy“. Diese verfügen noch immer über eine sehr gute Kapitalausstattung und können mit Jahrzehnten Raumfahrterfahrung wichtige Beiträge leisten. Zudem können die im Orbit befindlichen Satelliten in neue Megakonstellationen eingebunden werden, um immer neuere Dienstleistungen zu definieren. Hier liegen erhebliche Potenziale, die bisher kaum diskutiert und nicht gehoben wurden. Verbunden mit starkem Engagement in der Standardisierung zukünftiger Mobilfunknetze können diese Potenziale möglicherweise sogar geeignet sein, die Wettbewerber mittelfristig wieder zu überholen.


Das ausführliche Dokument der Trendanalyse können Sie hier anfordern >>

Weitere Informationen zur Professur von Prof. Knopp finden Sie unter: https://www.unibw.de/satcom (in Englisch).


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