Interview: Starkregen – Vorsorgen gegen die „Flut von oben“

5 August 2022

Mit dem Klimawandel steigt das Risiko für Starkregen in Deutschland. Doch ein Jahr nach den Sturzfluten im südlichen Berchtesgadener Land und dem Ahrtal passiert immer noch viel zu wenig in Sachen Starkregenschutz.

Ein Interview mit Prof. Dr.-Ing. i. R. Frank Wolfgang Günthert

Wir haben Umweltexperte Prof. Dr.-Ing. i. R. Frank Wolfgang Günthert, der an der Universität der Bundeswehr München die Professur für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik innehatte, gefragt, wo die Gefahren beim Starkregen liegen und was in der Zukunft in Sachen Starkregenschutz noch optimiert werden könnte.


Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf das Thema: „Starkregen“?

Der Klimawandel hat einen sehr großen Einfluss auf die Entstehung von Starkregen. Betrachtet man die Wetterstatistiken in Bayern von 1890 bis heute, so fällt auf, dass die Durchschnittstemperaturen in dieser Zeit von 6 Grad auf 9 Grad angestiegen sind. Die höheren Temperaturen im Sommer erzeugen eine höhere Verdunstung, was dazu führt, dass die Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Schon ein Temperaturanstieg von 1 Grad bedeutet 7 % mehr Wasser. Diese großen Wassermassen steigen schneller auf und führen daher insbesondere nach Hitzeperioden zu Starkregenereignissen mit Niederschlägen von mehr als 100 mm in kurzer Zeit.


Warum ist Starkregen so gefährlich?

Starkregen kann überall auftreten, auch außerhalb von Gewässern und in Gebieten mit niedrigem Jahresniederschlag. Diese Extremwetterereignisse haben kaum eine Vorwarnzeit und treten sehr regional und kleinräumig auf. Daher sind die Menschen meist nicht darauf vorbereitet und werden umso stärker davon betroffen, was man im vergangenen Jahr sehr gut im Ahrtal sehen konnte.


Oftmals kommt es nach Starkregen zu schweren Überflutungen. Welche Ursachen haben diese?

Starkregen sind extreme Niederschläge mit hoher Intensität von über 100 l/m2. Diese Wassermassen können nicht von den Entwässerungseinrichtungen, Kanalisation und Straßen, aufgenommen werden. Zudem fließt viel Oberflächenwasser aus Außengebieten in die Siedlungen mit Schlamm und anderem Treibgut und verursacht dabei erhebliche Schäden, überflutet Tiefpunkte, Unterführungen, Keller und Tiefgaragen.


Was können die Gemeinden, aber auch einzelne Personen tun, um Starkregen in Zukunft besser in den Griff zu bekommen?

Im Gegensatz zu Flusshochwasser, wo Gemeinden und Bürger in den betroffenen Gebieten auf die Gefahr vorbereitet und Überschwemmungsgebiete bekannt sind, ist Starkregengefahr noch nicht im Bewusstsein der Allgemeinheit angekommen. Daher empfehle ich für alle Kommunen eine Information der Bürger über diese Gefahren, eine Gefahren-Analyse bezüglich Starkregen mit einer Auswertung historischer Wetterereignisse, einem Check möglicher Gefahrenpunkte und dem Einsatz von Starkregengefahrenkarten. Desweiteren sollte in den Gemeinden und Städten stärker auf eine blau-grüne Infrastruktur gesetzt werden, z. B. mit der Einrichtung von sogenannten Schwammstädten. Diese ermöglichen, dass das Niederschlagswasser besser versickern, gespeichert und verdunsten kann. Auch wäre es wichtig, dass das Niederschlagswasser außerhalb der Gemeinden stärker in der Fläche zurückgehalten wird, z. B. durch Gewässerauen, Moore, Wälder und Schwammlandschaften.


Erklären Sie uns bitte, was es mit den Starkregengefahrenkarten auf sich hat und wie sie funktionieren.

Starkregengefahrenkarten werden auf der Grundlage eines möglichst genauen digitalen Geländemodells (mit einem Raster von 1 m x 1 m) und hydraulischen Berechnungsprogrammen, die alle Gefahren wie z. B. Oberflächenabfluss, Zufluss von Außengebieten, Gewässerhochwasser und kanalinduzierte Überflutungen (also durch einen Kanal ausgelöste Überflutungen) berücksichtigen und einbeziehen, erstellt. Anhand dieser Berechnungen kann für das betroffene Gebiet für Gebäude und Objekte der Wasserstand bei extremen Niederschlägen ermittelt werden. Mit diesen errechneten Wasserständen kann das Risiko einer Überflutung bestimmt und so bei Bedarf Schutzmaßnahmen geplant und umgesetzt werden. Dadurch sind zielgerichtetere und exaktere Extremwetter-Warnungen möglich.


Weitere Informationen finden Sie unter www.starkregenmanagement.de. Dort können Sie auch die Studie von Prof. Günthert mit dem Titel „Starkregen – Urbane Sturzfluten 4.0.“ herunterladen.


Titelbild: © gettimages/portokalis