Auswirkungen eines Stopps russischer Energie-Importe

12 April 2022

Mit jeder weiteren Eskalationsstufe des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine werden die Forderungen lauter, die wirtschaftlichen Sanktionen gegen das russische Regime durch einen sofortigen Stopp der russischen Energieimporte zu verschärfen.

Ein Beitrag von Prof. Johannes Pfeifer, Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik

Die ökonomische Logik des Vorschlags liegt darin begründet, dass dies den russischen Staat, der rund 40 % seiner Staatseinnahmen aus dem Verkauf von Energie bezieht, empfindlich treffen würde. Ein solches Embargo ließe sich im Gegensatz zu anderen Sanktionen auch kaum umgehen. Aktuell importiert die EU jeden Tag Öl im Gegenwert von rund 600 Millionen Euro und Gas im Wert von rund 350 Millionen Euro aus Russland. Diese Devisen erlauben es dem Regime nicht zuletzt, den Krieg zu finanzieren.

Allerdings hätte ein solches Energieimport-Embargo auch das Potenzial, die deutsche Volkswirtschaft hart zu treffen. Immerhin bezieht die Bundesrepublik mehr als die Hälfte ihrer Gasimporte aus Russland, bei Kohle und Öl liegt der Anteil bei 50 % bzw. 35 %. Aufgrund der leichteren Transportierbarkeit sowie vernetzter, gut funktionierender Weltmärkte und des Ausweichens auf alternative Energieträger wäre ein Verzicht auf russische Öl- und Kohleimporte vergleichsweise einfach realisierbar. Dies war auch der ausschlaggebende Grund für das bereits von der EU beschlossene Importembargo für russische Kohle.

Makroökonomische Folgen wären insgesamt beherrschbar

Deutlich schwieriger gestaltet sich ein Verzicht auf russisches Gas, dessen Transport an vorhandene Pipelineinfrastruktur und -kapazitäten gebunden ist. Zudem dient Gas als wichtiger Grundstoff in der verarbeitenden Industrie und lässt sich zumindest dort nicht durch andere Energieträger oder den Ausbau erneuerbarer Energien ersetzen. Eine Vielzahl von Studien aus Politik, Wissenschaft und Think Tanks, die die Effekte eines Gasembargos quantifizieren, zeigt dennoch, dass die makroökonomischen Folgen insgesamt beherrschbar wären. Während die genauen Zahlen mit recht großer Unsicherheit behaftet sind, bewegen sich die meisten Schätzungen im Bereich von 2 % bis 3 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) und damit auch bei Aufschlagen eines Sicherheitspuffers zur Berücksichtigung nicht explizit modellierter Effekte in der Größenordnung des Wirtschaftseinbruches während der Covid-Pandemie. Grundlage dieser auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Ergebnisse ist die Einsicht, dass es in einer großen, diversifizierten Volkswirtschaft vielfältige Anpassungsmargen gibt, den Gesamtverbrauch auch kurzfristig zu senken. Hierzu zählt die Substitution durch andere (erneuerbare) Energiequellen sowie die Verbrauchssenkung infolge steigender Preise, seien es eine bessere Gebäudedämmung, reduzierte Raumtemperaturen in Wohnungen oder gesenkte Wassertemperaturen im Schwimmbad. Nach anfänglichen, intensiven Protesten haben selbst Großverbraucher wie die chemische und die glasverarbeitende Industrie eingeräumt, dass 30%ige Reduktionen ihres Verbrauchs möglich wären, ohne dass diese stark vernetzten Sektoren, die wichtige Vorprodukte für andere Wirtschaftszweige liefern, vollständig zusammenbrechen würden.

Ungleiche Verteilung der Kosten eines Importembargos

Die Proteste dieser Sektoren verdeutlichen aber eine zentrale Problematik: die Kosten eines Importembargos wären sehr ungleich verteilt. Die Hauptleidtragenden im privaten Sektor wären einkommensschwache Haushalte in schlecht gedämmten, mit konventionellen Energieträgern beheizten Mietwohnungen. Diese Haushalte geben bereits überproportional viel ihres Einkommens für Energie aus, hätten aber gleichzeitig kaum Möglichkeiten, sich den stark gestiegenen Energiekosten zu entziehen. Auf Wirtschaftsseite stellt der russische Angriffskrieg mittelfristig ganze Wirtschaftszweige infrage, deren Geschäftsmodell bisher auf der Verfügbarkeit billigen russischen Gases beruhte und die es versäumt haben, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren. Zu denken ist hier beispielsweise an die Düngemittelherstellung, die ein relativ unspezialisiertes Gut produziert, das sich einfach transportieren lässt und daher perspektivisch in Regionen abwandern dürfte, in denen der benötigte Grundstoff Gas leichter verfügbar ist. Aufgabe der Politik wird es sein, einen Interessenausgleich zwischen den betroffenen Gruppen herzustellen, indem die großen Verlierer durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden.

Verlässliche Preissignale für Haushalte und Unternehmen setzen

Gleichzeitig ist es elementar, dass die Politik den notwendigen wirtschaftlichen Transformationsprozess durch verlässliche Rahmenbedingungen begleitet. Jenseits der konkreten Frage eines kurzfristigen Importembargos ist absehbar, dass Deutschland und die EU ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen deutlich reduzieren werden und es wohl kein Zurück in den vorherigen Zustand geben wird. Daher täte die Politik gut daran, bereits heute verlässliche Preissignale für Haushalte und Unternehmen zu setzen, an denen diese ihre langfristigen Investitionsentscheidungen ausrichten können. Zu denken ist hier an anstehende Standort- und Produktionslinienentscheidungen von Unternehmen, Investitionen in die Energieeffizienz von Bestandsbauten aber auch die Investitionen in den Füllstand von Gasspeichern, die bei zukünftig wieder niedrigeren Preisen große Verluste erzeugen können.

Ökonomen könnten der Politik beratend zur Seite stehen

Ein probates Mittel wäre der Vorschlag eines dauerhaften Einfuhrzolls auf russisches Erdgas. Dieser würde Preisschwankungen auch für die Zeit nach dem Krieg eliminieren und es erlauben, einen Großteil der russischen Gewinne abzuschöpfen, die das russische Regime derzeit durch seine strategische Angebotsverknappung generiert. Die zentrale ökonomische Einsicht ist hier, dass Zölle genauso wie beispielsweise Mehrwertsteuererhöhungen immer von Konsumenten und Produzenten gemeinsam getragen werden und der russische Staat daher an der Finanzierung der Zölle beteiligt werden kann. Die resultierenden Einnahmen für die EU könnten zur Abfederung der Preiserhöhung verwendet werden. Je früher eine solche Maßnahme erfolgt, desto besser sind auch die Voraussetzungen, eine entsprechende Gasreserve für den nächsten Winter aufzubauen.

Abschließend sei angemerkt, dass Ökonomen der Politik beratend zur Seite stehen können, indem sie die ökonomischen Kosten von Politikmaßnahmen quantifizieren. Die Politik ist aber in der wenig beneidenswerten Lage, dass sie diese Kosten gegenüber nur schwer quantifizierbaren sicherheitspolitischen Vorteilen aber auch Risiken abwägen muss. Bisher zeigte Wladimir Putin, ein Despot mit Zugang zu Atomwaffen, rationale Reaktionen auf die ökonomischen Sanktionen des Westens. Doch niemand weiß, ob dies auch bei stärkeren Maßnahmen, die das Potenzial haben, ihn innenpolitisch unter Druck zu setzen, auch weiterhin so sein wird. In jedem Fall handelt es sich bei Importembargo und Einfuhrzoll aber noch um probate nicht-militärische Instrumente.


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Titelbild: © gettyimages/Mikhail Mishunin