Zwischen Toleranz und Diskriminierung: Sexuelle Identität in der Arbeitswelt

16 November 2020

In Nordirland wird die Durchsetzung der Ehe für alle gefeiert, in Griechenland beginnt der Prozess zum gewaltsamen Tod des queeren Aktivisten Zak Kostopoulous – eine Bestandsaufnahme zum internationalen Tag der Toleranz.

Vor mehr als 20 Jahren unterzeichnete die UNESCO am 16. November die Erklärung der Prinzipien zur Toleranz. Darin heißt es „Toleranz ist Harmonie über Unterschiede hinweg“. Respekt für verschiedene Kulturen wird gefordert, aber auch die Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe. In der Vermittlung des Wissens um seine eigenen Rechte und die Freiheit Anderer könnten Massenmedien und Social Media eine wichtige Rolle spielen.

LGBTQ-feindliche Vorfälle und Einstellungen

In den Medien finden sich momentan aber leider weltweit viele verschiedene Vorfälle und beängstigende Gewalttaten gegen homo-, bi- und transsexuelle Menschen, physisch wie psychisch: In Griechenland beispielsweise begann am 6. November der Prozess gegen sechs Zivilisten und vier Polizisten, die den Tod des queeren Aktivitisten Zak Kostopoulos vor zwei Jahren aufarbeitet. Zak Kostopoulos wurde in einem Athener Schmuckladen festgehalten, da er sich nach polizeilichen Angaben eines Diebstahls schuldig gemacht haben soll. Als er sich befreien kann, wird er auf der Straße brutal von Zivilisten und der griechischen Polizei angegriffen.

In Polen verkündete kürzlich die polnische Bischofskonferenz, Homosexualität sei heilbar. Eine rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften durch Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft sind in Polen nicht denkbar – das Rainbow Ranking der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) stuft die legale Situation für queere Menschen als schlechteste in der gesamten EU ein.

Aber es gibt immer wieder auch Beispiele, die Veränderungswillen zeigen: Im durch den geschichtlich von kirchlichen Konflikten geprägten Nordirland gaben sich im Februar 2020 zum ersten Mal zwei Frauen das Ja-Wort.

Veränderungsbereitschaft und Vielfalt in Unternehmen

Der Diskurs ist auch in der Arbeitswelt angekommen – unter dem Stichwort Diversity & Inclusion. Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, welche Vorteile eine vielfältige Belegschaft auch wirtschaftlich bringen kann, vom Wohlfühlfaktor und der Verbesserung sozialer Beziehungen ganz abgesehen: Kreativere Teams und verschiedene Sichtweisen versprechen mehr Produktivität für jede und jeden Einzelnen, wenn es möglich wird, mit der ganzen Identität zur Arbeit zu kommen.

Ein italienischer Pasta-Konzern musste erst durch einen Skandal lernen, welch tragende Rolle Engagement in diesem Bereich spielen kann. Mit dieser Geschichte beginnt das Buch von Jens Schadendorf: Nach einem Social Media-Aufschrei zur Aussage des Firmenchefs, keine Werbung mit einer homosexuellen Familie machen zu wollen, werden auch Produkte des Pasta-Konzerns boykottiert. Der Skandal ist sieben Jahre her, aber zeigt noch immer: Die Wahl einer Marke bedeutet auch, die Werte der dahinter stehenden Firma zu unterstützen. Mittlerweile hat sich im besagten Unternehmen viel getan, auch symbolisch: Neben der Einrichtung einer eigenen Stelle für Diversity & Inclusion, Beratung und eines Aufsichtsrates für Diversity-Fragen wirbt der Konzern 2018 mit einer limitierten Verpackungsedition anlässlich der Pastaweltmeisterschaft mit zwei Frauen, die sich – inspiriert von der bekanntesten Szene aus dem Zeichentrickfilm „Susi und Strolch“ – eine Spaghetti teilen. Bei der Human Rights Campaign erreicht die Firma mittlerweile ein hohes diversity-freundliches Ranking. Das Image eines homophoben Konzerns hat sich innerhalb von fünf Jahren stark gewandelt.

Über diese und andere Entwicklungen von Unternehmen sowie Schicksale von Führungskräften berichtet Jens Schadendorf in „GaYme Changer“. Als Vorgeschmack für seine coronabedingt auf 2021 verschobene Lesung gibt der Autor und ehemalige Soldat Jens Schadendorf im Gespräch mit Prof. Sonja Kretzschmar Einblicke in sein 2019 erschienenes Buch. Das Video finden Sie hier.

Diversität in der Bundeswehr

Die Förderung eines offenen, toleranten und vielfältigen Arbeitsumfeldes steht nicht nur bei Unternehmen hoch im Kurs: Die Verteidigungsministerin entschuldigte sich kürzlich öffentlich für die jahrelange Diskriminierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten. Mit dem Stabselement für Chancengerechtigkeit und Diversität gibt es in der Bundeswehr seit mehreren Jahren eine offizielle Ansprechstelle. Auch der Verein QueerBw steht Bundeswehrangehörigen mit Rat und Tat zur Seite.

An der Universität der Bundeswehr München wurde 2017 ein Beirat für Chancengerechtigkeit und Diversität gegründet, der eigene Projekte in Angriff nimmt und die Universitätsleitung in verschiedenen Anliegen berät. Im zweijährlichen Rhythmus beteiligt sich die Universität zudem am deutschlandweiten Diversity Tag mit Aktionen und Informationsständen. Im Rahmen des nächsten Diversity-Tages 2021 soll Jens Schadendorf seine Lesung nachholen. Wir sind gespannt und freuen uns auf viele spannende Diversity-Projekte im neuen Jahr.