TAGUNGSBERICHT

RISK Jahreskolloquium: Wie viel Sicherheit verträgt die Gesellschaft?

 Unsichere Zeiten?

Absperrungen, Poller und ständige Polizeipräsenz – wie viel Sicherheit verträgt die Gesellschaft? Während die öffentlichen Sicherheitsdebatten besonders nach terroristischen Anschlägen geführt werden, möchten Institutionen mit Sicherheitsaufgaben routinierter auf Sonderfälle vorbereitet sein. Das jährliche RISK-Kolloquium bietet hierfür ein Forum, bei dem viele Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis zusammen über den kontrollierten Umgang mit Unsicherheiten diskutieren. Freiheit, Risiko, Sicherheit: Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Risikoforschung.

 

Unsicherheit akzeptieren lernen

„Wir müssen uns auf eine Kultur der Unsicherheit einlassen und eine situative Sicherheit auf Zeit schaffen“, unterstreicht der Soziologe Prof. Bonß einleitend. „Unsicherheit könne auch als Produktivitätsressource gesehen werden“ – bei der in der Analyse zwei Typen von Unsicherheiten in Erscheinung treten. Neben den „Alten Risiken“ durch überschaubare, finanziell kompensierbare Schäden sind gesellschaftlich auch „Neue Risiken“ zu erkennen. Unter diesen verstehe man etwa Gefährdungen, hervorgetragen durch Kraftwerke, Nanotechnologie oder Aktienmärkte. Diese neuen Risiken seien nicht vollständig kalkulierbar und die Behebung in zeitlicher, sozialer oder sachlicher Hinsicht kaum finanziell aufzuwiegen.

Risikovorbeugung

Für den Umgang mit schwer einzuschätzenden Risiken gibt es interdisziplinär verschiedene Ansätze. „Wir können präventiv mit urbanen baulichen Schutz viel tun“, konstatiert Mitorganisator Prof. Norbert Gebbeken aus Perspektive des Bauwesens. Der international renommierte Baustatikexperte plädiert für unsichtbaren Schutz vor Angreifern, in Form von Hecken oder Skulpturen. Sogenannte Tigerfallen, die im Boden verborgen sind, können Lastwagen Einhalt bieten. Aber nicht nur Gebäude, auch ganze Infrastrukturen und Versorgungsnetze müssen gegen Übergriffe geschützt werden. Dr. Martin Zsifkovits berichtete von der Forschung der Professur für Operations Research, die derzeit am Folgeprojekt eines Forschungsvorhabens zum Schutz des Bahnverkehrs arbeitet. Um die hohe Fehlerquote von Sensoren bei der Detektion von Sprengstoff oder anderen gefährlichen Substanzen zu verringern, will die Professur Sensoren kombinieren. Auch die Siedlungswasserwirtschaft ist als Bereitsteller des Trinkwassers und der Ableiter des häuslichen Abwassers angreifbar. „Sie ist Teil einer kritischen Infastruktur“, sagte apl. Prof. Steffen Krause, der in einem Forschungsprojekt illegalen Drogenlaboren über das Kanalnetz auf die Spur kommt. Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung und ihrer Abhängigkeit von der Stromversorgung müsse auch sie gegen Angriffe geschützt werden.

Auch die Einsatzkräfte der Polizei, Feuerwehr oder des Technischen Hilfswerks müssen sich auf neue Bedrohungen und die Behandlung anderer Verletzungsarten einstellen. Prof. Eva-Maria Kern untersucht Standards für bestimmte Schadenszenarien und die Rolle von Erfahrungswissen in Einsatzorganisationen und leitet daraus auch für andere Institutionen wertvolle Orientierungshilfen für ein Risikomanagement ab. Einsatzkräfte sind darauf angewiesen, ihr Wissen stets zu erweitern und für den Ernstfall zu proben. Serious Games bieten eine spielerische und virtuelle Alternative. In der Entwicklung der Spiele steuert Prof. Manuela Pietraß wissenschaftliches Know-how bei. Die Professorin für Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Medienbildung achtet darauf, dass dabei ethische Grenzen eingehalten werden: ,,So realistisch wie möglich, so virtuell wie notwendig“ soll das Spiel sein. Wie Aufklärung und Prävention mit Videoclips gestaltet werden können, erklärte Prof. Sonja Kretzschmar. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit und dem Pro und Contra einer Versicherungspflicht für Elementargefahren.

Unsicherheit als soziales Konstrukt

In der abschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing Prof. Ursula Münch, wurde deutlich: Auch die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen können ein Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung nicht beseitigen. Den Bürgerinnen und Bürgern ginge es nicht unbedingt um mehr Polizeipräsenz, sie sähen vielmehr ihr persönliches Sicherheitsempfinden in Gefahr, fasste der stellvertretende CSU-Generalsekretär Markus Blume die besorgten, an ihn gerichteten Briefe zusammen. Oliver Bendixen, Polizeiexperte des Bayerischen Fernsehens, sieht unter anderem die sozialen Medien in der Verantwortung, die beispielsweise mit Falschmeldungen anlässlich des Münchner Amoklaufes im letzten Sommer Panik ausgelöst hätten. Er wünschte sich zudem bei den journalistischen Medien mehr Grundsatzdebatten über die Wirkung von Berichterstattung Für problematisch halte er es, wenn nach einem Ereignis der Bevölkerung bewusst Unsicherheit vermittelt werde: "Politiker und Medien sollten nicht alles so aufgeregt deuten", sagte er. Prof. Martin Voss, der die Katastrophenforschungsstelle an der FU Berlin leitet, plädierte ebenfalls für differenziertere Diskussionen. Das Thema Sicherheit müsse weiter gefasst werden. Menschen seien grundsätzlich verunsichert. „Das Sozialsystem greift nicht mehr“, nahm der Professor nachdenklich Bezug auf Unsicherheiten im Alter. Die anschließenden Fragen aus dem Publikum zeigten: Das Thema des RISK-Jahreskolloquiums bewegt und ist aktueller denn je.

Fotos und Text: Sebastian Meyer & UniBw M