Social BRIDGES 2: Die Forschung und kollektive Erfahrungen

1 Dezember 2020

Am 18-20. November 2020 beherbergte das Institut für Psychologie an der Universität der Bundeswehr München die zweite virtuelle Veranstaltung in der Reihe der Online-Konferenzen Social BRIDGES und hieß renommierte Vortragende sowie junge Forschende aus aller Welt herzlich willkommen.

Diesmal lautete das Thema dieses interdisziplinären Forums „Gemeinsame Ausrichtung in Gruppen, Netzwerken und Teams“. Das Organisationskomitee unter der Leitung von Prof. Merle Fairhurst (Lehrstuhl für Biologische Psychologie am Institut für Psychologie), von positiven Rückmeldungen zur Zugänglichkeit der Materialien der ersten Veranstaltung der Reihe Social BRIDGES inspiriert, hat sich bei der Gestaltung der zweiten Konferenz an die gleichen Prinzipien des weltweiten freien Zugangs gehalten.

Das Leben als eine Reihe von Interaktionen

Die Vielfalt der Themen, die die Teilnehmenden behandelten, war genauso facettenreich wie die Breite der gesamten Lebensbereiche und Situationen, in denen gemeinsame Ausrichtung eine prägende Rolle spielt, sei es im beruflichen oder im privaten Umfeld. Die Musik und die Synchronisierung in musikalischen Gruppen standen im Mittelpunkt der Vorträge von Prof. Alan Wing (University of Birmingham) und Dr. Alessandro D’Ausilio (University of Ferrara). Prof. Pedro Passos (University of Lisbon) untersuchte das Verhältnis der Formen von zwischenpersönlicher Zusammenarbeit zur kollektiven sportlichen Leistung. Dr. Ralf Kurvers (Max Planck Institute for Human Development) lenkte die Aufmerksamkeit der Zuhörenden auf Wirkungsmechanismen der strategischen Desinformation in der Politik, indem er mithilfe der Spieltheorie erklärte, wie das Phänomen der schwachen Parteien und weniger favorisierten Politiker, die durch das Vertreten von extremen Meinungen und Szenarien aufsteigen, zustande kommt.
Der Vortrag von Prof. Merle Fairhurst fokussierte auf dem Verhältnis des eigenen Selbst zu den Anderen in Gruppeninteraktionen, indem individuelle Erfahrungen behandelt wurden, die Ursachen und Wirkungen der Koordination für das „Ich“ im „Wir“. Das grundlegende und wichtigste Bild der gemeinsamen Ausrichtung, Menschen, die sich gleichzeitig zusammen bewegen, bildete auch das Thema der Präsentation von Dr. Liam Cross (Edge Hill University), die die zusammenschweißende und identitätsbildende Wirkung der gemeinsamen Bewegung für Gruppen beleuchtete. Die Präsentation des Projekts von Domna Banakou (University of Barcelona) untersuchte die Möglichkeiten der Erfahrung von gemeinsamen Handlungen und von Gruppenzugehörigkeit mithilfe der VR.
Prof. Carolyn Parkinson (University of California) widmete ihren Vortrag der wissenschaftlichen Belegung der Aussage „Zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist“, indem sie ihr Forschungsprojekt präsentierte, das von Ähnlichkeiten der neuronalen Reaktionen von Menschen aus dem gleichen Realleben-Netzwerk auf die gleichen Reize und Informationen zeugt. Die Herangehensweise von Dimitris Bolis (International Max Planck Research School for Translational Psychiatry) an die gleiche Volksweisheit bestand in einer Studie zum Einfluss der Ähnlichkeiten von autistischen Persönlichkeitsmerkmalen auf die Dauer und die Qualität der Freundschaft, wobei die letztere durch Akzeptanz, Nähe und Hilfsbereitschaft definiert wird; die Schlussfolgerung bestand darin, dass die Qualität der Interaktion nicht von der individuellen Zusammensetzung dieser Merkmale, sondern eher von ihrer zwischenpersönlichen Dissonanz vorausgesagt werden kann. So stellt sich die Frage danach, ob psychopathologische Zustände (und insbesondere Autismus) weniger als eine individuelle Störung und mehr als zwischenmenschliche Dissonanz behandelt werden sollten. Ein weiteres starkes Plädoyer für Inklusion und Diversität bildete der Vortrag von Justin Sulik (Ludwig-Maximilians-Universität München), der den positiven Einfluss der unkonventionell denkenden und lernenden Individuen auf Problemlösung und insbesondere auf die Wissenschaft analysierte.

Die Faszination der Gruppenerfahrungen

Im Rahmen der Konferenz fanden zwei Workshops statt. Der eine war den rechnerischen Methoden der Quantifizierung der Gruppenkoordination gewidmet, und der andere fokussierte auf Koordination bei kreativen Aktivitäten. Letzteres wurde anhand von einem Live-Experiment zur gemeinsamen Ausrichtung einer Gruppe im Online-Modus untersucht, indem die Teilnehmenden mithilfe der Ausführung einer Spiegelübung auf Zoom die Möglichkeiten der Überbrückung des physischen Abstands und des Auslebens der Gruppen-Synchronisierung mithilfe der virtuellen Kommunikationsmittel zur Schau stellten.
Die aktuelle herausfordernde Zeit der sozialen Isolation, die die Realleben-Gruppenerfahrungen nahezu unmöglich gemacht hat, bringt uns dazu, alternative Weisen der gemeinsamen Ausrichtung und des Beisammenseins näher zu erkunden und zu entdecken, dass ihre Auswirkungen auf Geist und Körper genauso stark sind. Ein Glanzlicht zum Schluss der Veranstaltung war der Schlüsselvortrag von Prof. Daniel Richardson (University College London), der die Wirkungsmechanismen der kollektiven Handlungen und die direkten Auswirkungen der Gruppenerfahrungen auf Gefühle, Physiologie und Bewusstsein untersuchte. Laut der Ergebnisse seiner Forschung kann bei Menschen in einer großen Gruppe, die den gleichen Film schauen, das gleiche Buch lesen bzw. als Audioversion hören, einem Konzert zuhören oder eine Sportveranstaltung besuchen, eine Synchronisierung des Herzschlags beobachtet werden. Die Fortsetzung des Forschungsprojekts während der globalen COVID-19-Pandemie führte zur Schlussfolgerung, dass das virtuelle Publikum bei der Live-Übertragung eines Online-Konzerts genau den gleichen „gemeinsamen Herzschlag“ erleben kann.
Ein Rückblick auf die drei Tage voller anregungsreicher Diskussionen und eines lebhaften wissenschaftlichen Austauschs lässt sicherlich bestätigen, dass die zweite virtuelle Veranstaltung der Reihe Social BRIDGES als einer der Beispiele der gut funktionierenden Synchronisierung im virtuellen Raum gelten kann, die Isolation und Abstand erfolgreich überwindet.

Text: Olga Lantukhova; Bild: Belle Co/Pexels