Was ist eigentlich eine „militärhistorische Geländebegehung“?

21 August 2018

Im ehrlichen Bestreben, das Prinzip vom lebenslangen Lernen aus der Ecke der bloßen Floskeln heraus und in den Mittelpunkt des eigenen Handelns zu rücken, waren die Offiziere des Stammpersonals ausgezogen, um 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges die verbliebenen Spuren der diversen deutsch - französischen Auseinandersetzungen in Metz, Gravelotte und Verdun aufzusuchen. Es mag vereinzelt zusätzliche Anreize gegeben haben, an der Reise teilzunehmen; im Mittelpunkt stand jedenfalls wie erwähnt das Lernen.
 
Nach einer erfreulich ereignisarmen Eröffnungsetappe war das Militärmuseum in Rastatt das erste Zwischenziel, an dem nicht nur eine Stärkung und einige Informationen, sondern mit Dr. Jordan auch jener Experte aufgenommen wurde, der dem gesamten Unterfangen inhaltliche Tiefe und Richtung geben würde. Die Gewöhnung an das französische Mautsystem verlief hiernach schnell und reibungslos, wodurch die Kolonne am frühen Abend planmäßig in Metz eintraf. Die anschließende Besichtigung der Stadt führte unter der fachkundigen Anleitung des Historikers und der Unterstützung des Projektoffiziers durch verwinkelte Gassen, architektonische Sehenswürdigkeiten und mehrere Jahrhunderte der Stadt- und Kriegsgeschichte, bevor sie am späten Abend in einem zentrumsnahen Restaurant endete.
 
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Das nächste Etappenziel, Gravelotte, wartete mit einigen beeindruckenden Eindrücken auf die Exkursionsgruppe. Während der Blick ins Gelände die Vorstellungskraft der Beobachter noch aufs äußerste strapazierte, um auf saftig grünen Viehweiden und dem angrenzenden Parkplatz ein Schlachtfeld apokalyptischen Ausmaßes vor dem oft bemühten geistigen Auge entstehen zu lassen, zeigte schon die angrenzende Gedenkstätte überdeutlich, was sich hier ereignet hatte. Nur wenigen der hier gefallenen Soldaten war das zweifelhafte Glück einer eigenen Ruhestätte oder auch nur der namentlichen Erwähnung zuteil geworden; stattdessen wurde lediglich auf großen Steintafeln die Zahl der Verluste aller eingesetzten Einheiten festgehalten. Innerhalb kürzester Zeit hatten die Regimenter derart astronomische Zahlen von Toten und Verwundeten hinzunehmen, dass jeder, der aktuelle Truppenstärken als Referenz bemüht hätte, sich unweigerlich hätte fragen müssen, wie nach dieser Schlacht überhaupt noch weitere Kampfhandlungen möglich gewesen sein sollten. Nur einen Steinwurf entfernt, in dem dort errichteten Museum, wurden diese Eindrücke weiter verdichtet. Durch die zahlreichen Exponate und Installationen zeigten sich die Schrecken und Entbehrungen, die beide Seiten zu ertragen hatten, mit beeindruckender Wucht. So führt beispielsweise das Verlustbuch einer französischen Kompanie mit der nüchternen Präzision einer Schießkladde auf, wie die Einheit binnen weniger Tage von 190 auf unter 90 Soldaten schrumpfte, während das daneben liegende Tagebuch des Kompaniechefs in kurzen, aber aussagekräftigen, Einträgen das Bild einer intuitiv nachvollziehbaren Mischung aus zunehmender Verzweiflung und wilder Entschlossenheit zeichnet.
 
Von den Eindrücken in Gravelotte und der zunehmenden Hitze des französischen Sommers angemessen niedergebügelt, ging die Reise schließlich weiter nach Verdun, wo neben allerlei Denkmälern zunächst ein überraschend elegantes Hotel auf die Reisegruppe wartete.
 
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Auch hier wirkte die schiere Masse der Informationen, die Mischung aus kollektivem Leid und tragischen Einzelschicksalen, erdrückend. Dass die Innenstadt allerdings bis spät in die Nacht von Explosionen, Rauch, Feuer und Motorenlärm wachgehalten wurde, hatte nicht etwa mit dem Gedenken an die Artillerieattacken der Vergangenheit zu tun, sondern ausschließlich mit dem knappen Sieg der französischen Fußballnationalmannschaft über das belgische Team.
In zwei weiteren Tagen wurden die Schlachtfelder, Museen, Gedenk- und Ruhestätten in der Umgebung der Stadt erkundet, und obwohl gelegentlich durchaus Ruhephasen wie etwa ein Picknick im Wald die Möglichkeit zur Entspannung boten, war doch ein Thema in beinahe allen Gesprächen präsent und dominant: der Tod. Eine besonders drastische Illustration fand dieser schließlich in dem Beinhaus vor den Toren Verduns: inmitten einer deutlich fünfstelligen Zahl von Soldatengräbern wurden hier die Knochen derer, die durch die Wucht der Artillerie nicht mehr identifizierbar waren, in großen Räumen eingelagert. Mal, wie Schüttgut, völlig ungeordnet, mit Schädeln, die zwischen Hüftknochen und Rippen hervorschauen, mal sortenrein getrennt und ordentlich aufgestapelt, wie das Brennholz an den Wänden bayerischer Häuser.
 
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Die Reihe der Eindrücke ließe sich über weitere Gedenk- und Ruhestätten beliebig fortsetzen, allein, es hätte keinen Zweck.
Denn die Lehre aus der Reise war zweifellos diese: die Literatur über die Schrecken der Kriege ist eindrucksvoll, die Poesie berührend. Aber Hallen voller Knochen und Abertausenden von Gräbern gegenüber zu stehen, lässt sich durch keine Beschreibung der Welt ersetzen.