DECRYPT: Geheimtext trifft auf Algorithmus

10 September 2021

Am Forschungsinstitut CODE laufen derzeit über 20 drittmittelfinanzierte Projekte aus verschiedenen Forschungsgebieten in den Bereichen IT-Sicherheit, Quantentechnologien und Smart Data. Im Interview erklären die beteiligten Forscherinnen und Forscher ihre Arbeit sowie mögliche praktische Anwendungsfälle. Heute: Prof. Dr. Arno Wacker über das interdisziplinäre Vorhaben „DECRYPT“.

Herr Prof. Wacker, womit befasst sich das Projekt „DECRYPT“?

Das Projekt befasst sich von allem mit handgeschriebenen historischen verschlüsselten Manuskripten, sogenannten Chiffraten. Ein Großteil solcher Dokumente befindet sich in Archiven und Bibliotheken und ist noch nicht entschlüsselt.

Viele dieser Dokumente enthalten spannende historische Ereignisse, welche das bisherige Wissen zur Geschichte vervollständigen können. Die Kryptoanalyse sucht nach neuen Möglichkeiten zum Entschlüsseln – unter anderem mit automatischen Methoden, welche die Dokumente erst digitalisieren, dann transkribieren und zum Schluss decodieren.

Welche Fachrichtungen sind beteiligt und was ist das Ziel des Forschungsvorhabens?

Die Forschung erfolgt unter Beteiligung von Computerlinguistik, Kryptologie, Geschichts- und Sprachwissenschaft.

Bisher arbeiteten Historiker und Sprachwissenschaftlerinnen zumeist individuell und unkoordiniert an der Identifizierung und Entschlüsselung der Dokumente. Dies ist ein zeitaufwendiger Prozess, da die Forschenden oft keinen Zugang zu automatischen Methoden haben, welche die Entschlüsselung unterstützen und beschleunigen könnten.

Ziel von DECRYPT ist es daher, ein neues interdisziplinäres wissenschaftliches Feld der historischen Kryptologie zu etablieren, und zwar durch das Zusammenbringen des Fachwissens der verschiedenen Disziplinen für das Sammeln der Daten sowie durch den Austausch von Methoden für schnellere Fortschritte beim Entschlüsseln und Kontextualisieren historischer Manuskripte.

"Ziel von DECRYPT ist es, ein neues interdisziplinäres wissenschaftliches Feld der historischen Kryptologie zu etablieren."

Konkret wird das Projekt zu einer öffentlich zugänglichen Datenbank führen, die aus tausenden verschlüsselten Manuskripten und Verschlüsselungsschlüsseln mit Informationen über ihre Herkunft und anderen relevanten Dokumenten besteht. Dem Benutzer der Datenbank wird die Möglichkeit geboten, ein verschlüsseltes Manuskript als Bild hochzuladen und den Text vom System automatisch transkribieren und möglicherweise decodieren zu lassen. Zusätzlich entsteht auch eine große Sammlung historischer Texte aus verschiedenen Zeitperioden und Sprachmodellen für 15 europäische Sprachen in einem standardisierten Format, das Recherche und Studien von Sprachvariationen und Veränderungen im Laufe der Zeit ermöglicht.

Welchen Beitrag kann die Informatik liefern?

Informatiker, Kryptologen und Computerlinguisten entwickeln automatische Algorithmen zur Identifizierung und Entschlüsselung verschiedener Chiffretypen.

Teilgebiet der Informatik ist die Kryptoanalyse, welche sich mit dem Entschlüsseln der Texte befasst. In der Kryptoanalyse beschäftigen wir uns mit Algorithmen zum automatischen Erkennen und Brechen von klassischen Verschlüsselungen.

Neben der Kryptoanalyse bei uns ist auch die Bildverarbeitung, also das Digitalisieren und Transkribieren der alten Dokumente, Teil der Informatik. Diese Aufgabe wird allerdings von unseren Projektpartner in Spanien, der Universitat Autònoma de Barcelona, bearbeitet.

Wurden für das Projekt neue Werkzeuge entwickelt oder konnten Sie auf bestehende Ressourcen zurückgreifen?

Ja, ausgehend von dem Open-Source-Projekt für Kryptografie und Kryptoanalyse CrypTool [1] wird innerhalb des Teams kontinuierlich weiterentwickelt und erweitert. Unsere aktuelle Forschung fließt direkt mit in CrypTool 2 ein – wenn wir zum Beispiel eine neue Methode gefunden haben, um eine klassische Verschlüsselung überhaupt oder auch nur besser zu brechen, so wird diese anschließend in das Programm integriert, sodass es alle Interessierten nutzen können. Ein weiteres Werkzeug ist die DECRYPT-Datenbank, welche kontinuierlich erweitert wird, unter anderem mit einer direkten Anbindung an CrypTool zur automatischen Entschlüsselung von Dokumenten.

"Unsere aktuelle Forschung fließt direkt mit in CrypTool 2 ein – wenn wir z. B. eine neue Methode gefunden haben, um eine klassische Verschlüsselung überhaupt oder auch nur besser zu brechen, so wird diese anschließend in das Programm integriert."

Wie sind Sie mit diesem eher speziellen Forschungsgebiet in Kontakt gekommen?

Klassische Kryptografie hat mich schon immer interessiert. Während meiner Zeit als Professor für Angewandte Informationssicherheit an der Universität Kassel hat ein Doktorand ein Verfahren gebrochen, also entschlüsselt, für welches es bis dahin keine allgemeingültige Lösung gab: die doppelte Spaltentransposition. Dadurch kam ich zur Community und daraus ist dann auch das Projekt DECRYPT entstanden. 

Mit welchen Institutionen und Ländern arbeiten Sie für das Projekt zusammen?

  • Uppsala University, Schweden
  • Universität Siegen, Deutschland
  • Universitat Autònoma de Barcelona, Spanien
  • Budapesti Műszaki és Gazdaságtudományi Egyetem, Ungarn
  • University of Gothenburg, Schweden

 

Was haben Sie durch die interdisziplinäre Arbeit dazugelernt?

Es ist spannend, was man von den Linguistinnen und Linguisten durch die ersten Sprachcodes lernen konnte. Die interdisziplinäre Arbeit zeigt auch, dass andere Fachgebiete genauso spannend wie die eigenen Bereiche in der Informatik sind.

Gibt es ein bestimmtes Chiffrat, dessen Entschlüsselung Sie ganz persönlich reizen würde?

Die Skulptur Kryptos [2] vor dem Hauptgebäude der CIA, oder die Beale-Chiffren [3] (weil ich natürlich den versprochenen Schatz finden möchte ;).  Aber im Ernst: Kryptos wird eines Tages gelöst werden, und ich bin sehr gespannt darauf, was dahintersteckt. Die Beale-Chiffren hingegen sind mit nahezu vollständiger Sicherheit nur ein Scherz – daher, so enttäuschend es auch ist, gibt es den Schatz nicht wirklich und wir müssen weiterhin ganz klassisch Fördermittel beantragen.

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Die Skulptur "Kryptos" auf dem Gelände der CIA in Langley, Virginia (USA).
© Wikimedia Commons/Jim Sanborn (CC BY-SA 3.0). 


Die Professur für Datenschutz und Compliance am FI CODE unter der Leitung von Prof. Dr. Arno Wacker beschäftigt sich mit der Analyse und Entwicklung von sicheren Informationssystemen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Privatheit & Datenschutz-unterstützenden Methoden und Mechanismen. Die Forschung der Professur gliedert sich in die Forschungsschwerpunkte „Privatheit-unterstützende Mechanismen“, Erhöhung des IT-Sicherheitsbewusstseins“ und „Kryptoanalyse klassischer Chiffren“.

Mehr über DECRYPT und die beteiligten Projektpartner erfahren Sie auf der gemeinsamen
 >> Projektwebsite

Weitere Informationen über die Professur für Datenschutz und Compliance und zu Prof. Wacker gibt es
>> hier. 


1] https://www.cryptool.org/de/

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kryptos_(Skulptur)

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Beale-Chiffre


Teaserbild: Verschlüsselter Brief von Gabriel Luetz d Aramon nach 1546 mit teilweiser Entzifferung, fotografiert im Ecouen-Museum. 
© Wikimedia Commons/Uploadalt (CC BY-SA 3.0).