Digitale Forensik: Dem Cybercrime auf der Spur

29 Dezember 2021

Am Forschungsinstitut CODE laufen derzeit über 30 Projekte aus verschiedenen Forschungsgebieten in den Bereichen IT-Sicherheit, Quantentechnologien und Smart Data. Im Interview erklären die beteiligten Forscherinnen und Forscher ihre Arbeit sowie mögliche praktische Anwendungsfälle. Heute: Prof. Dr. Harald Baier über sein Forschungsgebiet Digitale Forensik.

Herr Prof. Baier, was genau ist Digitale Forensik?

Digitale Forensik hat zur Aufgabe, strafbare beziehungsweise rechtswidrige Handlungen im Kontext von IT-Systemen aufzuarbeiten. Ausgangspunkt ist eine entsprechende juristische Fragestellung. Typische Beispiele solcher Fragen sind: Hat Person A kinderpornographische Schriften besessen und verbreitet? Oder: Gab es einen Einbruch in unser IT-Netzwerk? Falls ja, wer ist Urheber? Sind Daten widerrechtlich abgeflossen?

Zur Klärung der juristischen Frage wendet die Digitale Forensik wissenschaftliche Methoden der Informatik an. Von daher sind Kenntnisse aus den verschiedenen Disziplinen der Informatik und der Cybersicherheit wichtig, beispielsweise zu Netzwerken, Datenbanken oder Betriebssystemen. Im Rahmen der Aufarbeitung eines mutmaßlichen IT-Schadenfalls sind die digitalen Spuren zu identifizieren, zu sichern und zu analysieren, die zur Beantwortung der juristischen Frage beitragen können.

Erst kürzlich ist Strafverfolgungsbehörden aus verschiedenen Nationen ein bedeutender Schlag gegen die kriminelle Gruppe REvil gelungen, die sich auf Ransomware-Angriffe – also Erpressung mittels Schadsoftware – spezialisiert hat. Wie kann Digitale Forensik dabei helfen, solche Verbrechen zu bekämpfen?

An solchen Beispielen erkennt man gut, wie Digitale Forensik einerseits und die Reaktion auf Schadensfälle andererseits Hand in Hand gehen. Methoden der Digitalen Forensik ermöglichen das Verständnis der Vorgehensweise des Angreifers: also der Art und Weise, wie dieser initial in das IT-System des Opfers eingedrungen ist, wie er sich dann in dessen Netzwerk ausgebreitet hat und wie er schließlich durch Verschlüsselung wichtiger Daten des Opfers Geld erpressen will. Dieses Verständnis des Modus Operandi ermöglicht das Etablieren von Schutzmaßnahmen für die Gegenwart und insbesondere für zukünftige Angriffe. Oft spricht man daher in diesem Zusammenhang von Digital Forensics and Incident Response (DFIR) als einer gemeinsamen Disziplin. Wenn der Täter identifiziert werden kann, können Strafverfolgungsbehörden mögliche juristische Schritte einleiten oder auch die IT-Infrastruktur des Angreifers lahmlegen.

"Das Verständnis des Modus Operandi der Angreifer ermöglicht das Etablieren von Schutzmaßnahmen für die Gegenwart und für zukünftige Angriffe."

Wie unterscheiden sich Forschung und Anwendung in diesem Bereich? Sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gleichzeitig praktisch tätig, indem sie etwa Ermittlungen unterstützen – und tragen Fachleute aus der Praxis wiederum zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bei?

Da die Digitale Forensik eine praktische Disziplin der Informatik ist, kommen wichtige Impulse für die Forschung aus konkreten praktischen Fragestellungen von Strafverfolgungsbehörden oder IT-Sachverständigen. Umgekehrt finden Forschungsergebnisse schneller ihren Weg in die alltägliche Arbeit von IT-Fachleuten als in theoretischeren Teildisziplinen der Informatik. Für den gegenseitigen Austausch gibt es eine Reihe von Plattformen wie Konferenzen oder Workshops, in denen Forschende und Praktiker aufeinander treffen. 

Wozu forschen Sie aktuell genau?

Ich beschäftige mich schon länger mit der Frage der Datenreduktion im Rahmen von IT-forensischen Untersuchungen. Wir haben es heute mit einer großen Spannbreite an Geräten zu tun, die jeweils Datenträger mit dreistelligen Gigabyte oder gar Terabyte an Daten enthalten. Alle diese Daten müssen nach der IT-forensischen Sicherung möglichst automatisiert im Hinblick auf die juristische Fragestellung gesichtet werden. Das gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. In meiner Arbeitsgruppe sind Verfahren des Approximate Matching entstanden, die es ermöglichen, in großen Datensätzen nach Datenstrukturen zu suchen, die fallrelevant sein könnten. Beispielsweise können wir mit Hilfe von Approximate Matching Fragmente von gelöschten kinderpornographischen Schriften finden und dieses Fragment dem ursprünglichen Bild zuordnen.

"Das Sichten von großen Datenmengen gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen."

Bei der Evaluation IT-forensischer Software besteht ein wichtiges Problem darin, dass diese Software auf geeigneten Datensätzen getestet werden muss. Solche Datensätze müssen jeweils die forensisch relevanten Spuren enthalten. Aufgrund von Datenschutz- und Sicherheitsaspekten ist die Verwendung von realen Datensätzen schwierig. Außerdem muss für die Evaluation bekannt sein, was die IT-forensische Software überhaupt finden kann beziehungsweise muss: In der Informatik spricht man dabei von einem „gelabelten Datensatz“ bzw. einer bekannten „Ground Truth“. Die Bereitstellung solcher Datensätze ist sehr zeitaufwendig. Wir arbeiten an einer Lösung, die auf Basis einer einfachen Konfigurationsdatei einen fallbezogenen, gelabelten Datensatz erzeugt. Wir haben unsere Lösung „ForTrace“ genannt, in Anlehnung an die englischen Wörter „Trace“ und „Fortress“, denn die digitalen Spuren sind schwer für die zu evaluierende IT-forensische Software zu finden (so wie es schwer ist, eine Festung einzunehmen).

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Heute existiert eine große Vielfalt von Geräten, auf denen enorme Datenmengen gespeichert sind. Für IT-forensische Untersuchungen ist Datenreduktion relevant, um gesuchte Informationen schneller zu finden.

Durch die zunehmende Digitalisierung hat sich ein Großteil der Kriminalität in den Cyberraum verlagert. Wird man in Zukunft mehr Expertinnen und Experten für IT-forensische Aufarbeitung brauchen?

In jedem Fall ist die Digitale Forensik ein starkes Wachstumsfeld innerhalb der Cybersicherheit, insbesondere in Verknüpfung mit der oben genannten Reaktion auf Schadensfälle (Incident Response). Ein wichtiger Indikator dafür ist die wachsende Zahl an dezidierten IT-Forensik-Studiengängen oder Modulen zur Digitalen Forensik innerhalb allgemeiner Cybersicherheitsstudiengänge, die auf Bachelor- und Masterebene angeboten werden. Und Absolventen von mir kommen problemlos bei Strafverfolgungsbehörden, den IT-Forensik-Abteilungen der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder anderen Sicherheitsunternehmen unter. Von daher freue ich mich, dass die UniBw M und CODE eine dezidierte Professur für Digitale Forensik besetzt haben.

Aktuell biete ich Lehrveranstaltungen zur Digitalen Forensik im Master „Cyber-Sicherheit“ an der Fakultät für Informatik an. Die grundlegende Einführung in die Thematik findet im Rahmen des Pflicht-Moduls „IT-Forensik“ statt. Dabei lernen die Studierenden wichtige Grundlagenthemen wie Datenträger- sowie Dateisystemforensik kennen. Mithilfe moderner, frei verfügbarer Software bearbeiten sie praktische Aufgabenstellungen.

In den fortgeschrittenen Lehrveranstaltungen widmen wir uns dann Themen wie Betriebssystem-, Anwendungs- oder Hauptspeicherforensik. Neben den praxisorientierten Übungen biete ich auch gerne kleine Workshops zu einem Themengebiet an, die jeweils wie ein Capture-The-Flag (CTF)-Wettbewerb organisiert sind.


Prof. Dr. Harald Baier ist seit 1. September 2020 Professor für Digitale Forensik am Forschungsinstitut CODE. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Umgang mit großen Datenmengen in IT-forensischen Untersuchungen, Erzeugung synthetischer Datensätze für die Bewertung IT-forensischer Tools, Anti-Forensik sowie Hauptspeicherforensik. Vor seiner Berufung an die UniBw M lehrte und forschte Prof. Baier zuletzt von April 2009 bis August 2020 an der Hochschule Darmstadt. Er leitete dort zahlreiche Drittmittelprojekte und war am Aufbau des heutigen Nationalen Zentrums für angewandte Cybersicherheit ATHENE beteiligt.


Das Interview mit Prof. Baier wurde für diesen Newsbeitrag gekürzt. Die vollständige Version können Sie auf der >>Website der Professur für Digitale Forensik nachlesen.


Ansprechpersonen:

Prof. Dr. Harald Baier
Forschungsinstitut CODE
Universität der Bundeswehr München
Tel.: +49 89 6004 7345
E-Mail: harald.baier@unibw.de

Lisa Scherbaum
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
Forschungsinstitut CODE
Tel.: +49 89 6004 7307
E-Mail: lisa.scherbaum@unibw.de


Bilder: © AdobeStock / Microgen (Teaserbild); FI CODE/Prof. Baier