Iran nach dem Atomdeal: Interview des Reutlinger General-Anzeigers mit Prof. Dr. Masala

22 November 2017

Das Atomabkommen zwischen dem Iran und dem Westen baut nicht allein auf Kontrolle, sondern auch auf noch aufzubauendes Vertrauen. Gemessen an der langen Eiszeit vor allem zwischen Washington und Teheran wird gern von einem historischen Deal gesprochen. Für die Region des Nahen und Mittleren Osten bis Zentralasien eröffnet es Chancen, birgt aber auch erhebliche Risiken. Politikwissenschaftler Professor Carlo Masala von der Bundeswehruniversität in München ist skeptisch, was die Einbindung Teherans und seine Absichten angeht.

 

GEA: Der Iran und die westlichen Verhandlungspartner haben sich in der Atomfrage geeinigt. Viele kritisieren das Abkommen vehement, andere bejubeln es als historisches Ereignis. Wie sehen Sie das?

Carlo Masala: Was wäre die Alternative zu dem Atomabkommen? Die Alternative wäre entweder ein nuklearer Iran oder eine militärische Aktion gegen einen sich atomar bewaffnenden Iran. Ich bin skeptisch hinsichtlich der vielen Löcher, die dieses Abkommen hat, und hinsichtlich der Frage, inwieweit der Iran dieses Abkommen nutzen könnte, um weiterhin an seinem militärischen Programm zu arbeiten.

Das heißt, die Lücken geben dem Iran die Möglichkeit, inoffiziell weiter an der Atombombe zu bauen.

Masala: Die Lücken ermöglichen das. Die Frage von Inspektionen ist nur sehr weich geklärt und letzten Endes sieht nach meiner Interpretation vieles danach aus, dass die Obama-Administration ein Abkommen unbedingt wollte, um etwas Greifbares in der Hand zu haben, damit der Präsident möglicherweise in die Geschichtsbücher eingehen kann.

Obama hat zu Hause große Probleme, eine Mehrheit für das in den USA höchst umstrittene Atomabkommen zu erhalten. Derzeit sieht es jedenfalls nicht danach aus.

Masala: Ja, es sieht momentan schlecht aus. Aber ich denke, letzten Endes wird er es durchbekommen, weil auch die Demokraten mit Blick auf die kommende Präsidentschaftswahl einen demokratischen Nachfolger für Präsident Obama nicht beschädigen wollen. Und deswegen glaube ich, dass seine Chancen, das Programm im Senat durchzudrücken, nicht so schlecht sind, wie es im Moment erscheint.

Welche Bedeutung hat das Abkommen für die Region?

Masala: Das werden wir erst in der Zukunft sehen. Mit der Aufhebung der Sanktionen wird es im Iran jedenfalls möglich, die Politik, die der Iran ohnehin in den letzten Jahren betrieben hat, mit noch mehr Machtmitteln zu betreiben. Das heißt, die Vorherrschaft über die arabische Halbinsel zu erreichen. Das bedeutet, wir haben – und das wäre die negative Seite dieses Abkommens – möglicherweise zwar keinen nuklearen Iran, aber wir haben vermutlich eine verschärfte saudisch-iranische Auseinandersetzung. Da geht es um den Jemen, das geht es um den Irak, da geht es letzten Endes auch um Syrien und den nicht neuen, aber zuletzt stark forcierten Versuch Teherans, eine deutliche hegemoniale Position in der Region zu erlangen.

... die ihm ja eigentlich von der Größe, geografischen Lage und Wirtschaftskraft auch irgendwie zusteht.

Masala: Ja, aber für viele Staaten in der Region bedeutet ein iranischer Aufstieg etwas, was sie nicht tolerieren möchten.

Sie spielen auch auf die Tatsache an, dass der Iran schiitisch ist?

Masala: Ja, auch das. Deswegen sehen Sie auch interessante Bewegungen zwischen Saudi-Arabien und Israel, also zwischen zwei Staaten, die offiziell keine diplomatischen Beziehungen zueinander haben. Sie kooperieren auf Geheimdienstebene immer enger, um die Iraner in Schach zu halten, obwohl die Saudis in ihrer Rhetorik beispielsweise weiter das Existenzrecht Israels abstreiten. Wir werden möglicherweise interessante Konstellationen und Allianzen in der arabischen Welt erleben, die mit dem iranischen Versuch, Hegemonialmacht in der Region zu werden, in direktem Zusammenhang stehen.

»Letztlich liegt die politische Macht bei den religiösen Führern« §§ Also werden Saudi-Arabien und der Iran nicht zum gemeinsamen Kampf gegen die IS-Bedrohung zusammenfinden?

Masala: Nein. Das halte ich für relativ unwahrscheinlich. Solange der IS – das mag jetzt zynisch klingen – was seine regionalen Auswirkungen anbelangt, relativ überschaubar ist, solange wird er nicht als die übergroße Gefahr angesehen, bei der man dann zur Zusammenarbeit gezwungen ist. Und der IS scheint zwar nicht entscheidend geschwächt zu sein, aber er ist geschwächt. Das wird nicht dazu beitragen, dass Staaten wie Saudi-Arabien und der Iran zusammengehen, um mit Blick auf den Islamischen Staat eine gemeinsame Politik zu betreiben.

Im nächsten Jahr sind im Iran Parlamentswahlen. Das Abkommen könnte die gemäßigten Kräfte um Präsident Rohani beflügeln. Vom Ausgang der Wahl wird auch abhängen, ob die gemäßigten oder die konservativen, reformfeindlichen Kräfte, die derzeit noch die Mehrheit im Parlament haben, die künftige Politik bestimmen werden.

Masala: Sie dürfen aber nicht vergessen, dass im Iran letzten Endes das Sagen der religiöse Führer hat. Wir haben schon bei den letzten Wahlen erlebt, wie viele Kandidaten von Listen gestrichen wurden. Das wird nächstes Jahr sicherlich schwieriger werden, aber die Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Moderaten wird weitergehen, wobei im Iran immer die Frage ist, was sind die Moderaten nach unseren Maßstäben? Aber letzten Endes liegt die politische Macht bei der religiösen Führung in Teheran und so lange Chamenei hier den Hardliner-Kurs fährt, werden keine großen Veränderungen erfolgen.

Israel hält das Atomabkommen für einen gravierenden Fehler der Amerikaner. US-Präsident Barack Obama und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu waren noch nie Freunde, aber derzeit herrscht zwischen beiden Eiszeit.

Masala: Ich glaube, in Israel wartet man auf den nächsten Präsidenten, von dem man erwartet, dass er Israel gegenüber aufgeschlossener ist, als es Obama in der Vergangenheit war.

... also auf einen Republikaner?

Masala: Auch mit Hillary Clinton könnte man in Tel Aviv sehr gut leben. Zumindest was ihre bisherige Politik und ihre bisherigen Stellungnahmen anbelangt, die deutlich proisraelischer gewesen sind als bei Obama.

Wo steht Russland in der neuen Konstellation in Nahost? Das Atomabkommen ist auch für Moskau sehr wichtig. Wird Moskau wieder ein Partner des Westens, wird Putin den syrischen Machthaber fallen lassen?

Masala: Solange die offizielle Politik des Westens diejenige ist, dass Assad gehen muss, solange wird man mit Russland nicht konstruktiv zusammenarbeiten. Was nicht ausschließt, dass man in der IS-Frage konstruktiv zusammenarbeitet.

Aber selbst im Westen ist man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr unbedingt für Assads Rückzug.

Masala: Das ist völlig richtig, aber letzten Endes kommt der Westen offiziell nicht mehr weg von seiner Forderung, dass die Lösung des Syrienkonfliktes oder ein Teil der Lösung der Rückzug von Assad ist.

§§ »Die Lage in Afghanistan ist aus iranischer Sicht gar nicht so schlecht«
 

Wird der Iran nach dem Atomabkommen seine Unterstützung der syrischen Hisbollah aufgeben?

Masala: Nein. Das sehe ich keine Veränderung. Das ist von Teheran auch schon angekündigt worden. Es gibt aber einen graduellen Rückzug der iranischen Unterstützung für die Hamas und eine Umorientierung zum Islamischen Dschihad, der in den palästinensischen Gebieten auch sehr aktiv ist. Der Iran wird diese Gruppen weiter unterstützen, weil diese Organisationen im iranischen Interesse in der Region agieren.

Das heißt, auch die Huthi-Rebellen im Jemen werden weiter unterstützt?

Masala. Richtig. Der Iran wird versuchen, Saudi-Arabiens Macht einzudämmen und zur vorherrschenden Macht in der Region zu werden. Das ist etwas, was die Iraner auch historisch begründen. Mit der Vorherrschaft der Perser über die arabische Welt.

Im Osten des Iran grenzt Afghanistan an. Die internationalen Truppen hinterlassen nach ihrem Abzug ein zerbrechliches Land, das kaum auf eigenen Füßen stehen kann. Wie lässt sich der Iran hier einbinden?

Masala: Der Punkt ist immer: Die Iraner lassen sich gerne einbinden, wenn es ihren eigenen Interessen entspricht. Derzeit haben wir in Afghanistan die Situation, dass dieses Land nicht stabil ist. Wir wissen nicht, ob die Taliban in den nächsten zwei Jahren wieder die Macht übernehmen? Momentan scheint es so zu sein, dass der IS in Afghanistan immer stärker wird. Der IS ist ein Dorn im Auge der Iraner. Den Islamischen Staat werden sie bekämpfen und dabei auch mit dem Westen kooperieren. Schauen Sie, wie der Westen toleriert hat, dass die Iranischen Revolutionsgarden zuletzt die meisten Großoffensiven der irakischen Armee gegen den IS geführt und geleitet haben. Also dort, wo es gemeinsame Interessen gibt, ob offiziell oder inoffiziell, wird man zusammenarbeiten. Nur, der Iran hat kein Interesse daran, dass Afghanistan in die Hände irgendeines seiner regionalen Nachbarn fällt. Daher ist die Situation in Afghanistan derzeit aus iranischer Perspektive gar nicht so schlecht. Von Afghanistan geht keine Gefahr für den Iran aus, weil es weder den Pakistanis, noch den anderen Anrainerstaaten gelingt, in Afghanistan die Kontrolle zu übernehmen.

Was bringt das Abkommen den Europäern, abgesehen von großen wirtschaftlichen Möglichkeiten?

Masala: Politisch könnte das darauf hinauslaufen – und das ist ja auch aus iranischer Perspektive von Interesse –, dass man mit den Europäern in ordnungspolitischen Fragen enger zusammenarbeitet. Denn obwohl sich das amerikanisch-iranische Verhältnis jetzt einigermaßen entspannt, besteht letzten Endes eine historische Bruchlinie zwischen den USA und dem Iran, die weder die jetzige noch eine künftige amerikanische Administration noch irgendeine Fraktion in Teheran so leicht aufbrechen kann. Historisch sind diese Beziehungen belastet und es wird sehr lange dauern, bis sie sich normalisieren, wenn sie sich überhaupt normalisieren. Da sind die Europäer für den Iran natürlich eine willkommene Alternative. Wie weit das geht, ist eine andere Frage. Wir kooperieren mit der politischen Führung in Teheran, die politische Macht liegt letztlich aber bei der geistlichen Führung. Wie sich die Dinge da verändern, ist völlig unklar. Das ist wie bei der früheren Sowjetunion, da können wir nur spekulieren. (GEA)