EU-Wiederaufbauplan – für Deutschland auch ökonomisch vorteilhaft?

6 August 2020

Deutschland ist der größte Nettozahler der EU, hat ein hervorragendes Kreditrating und war zumindest bislang von der Corona-Pandemie weniger stark betroffen als viele anderen EU-Länder. Es stellt sich darum die Frage, inwieweit der EU-Wiederaufbauplan, auf den sich die Regierungen der EU-Länder Ende Juli im Europäischen Rat geeinigt haben, für Deutschland nicht nur als Akt der Solidarität unter politischen Gesichtspunkten, sondern auch ökonomisch vorteilhaft sein kann.

Ein Beitrag von Prof. Karl Morasch, Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik, Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften

Um darüber eine Aussage treffen zu können, muss man sich zunächst die grundsätzliche Wirkung der Maßnahmen zur Bekämpfung der durch die Corona-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise klarmachen und dann die zusätzlichen Effekte auf europäischer Ebene mitberücksichtigen.

Nationale Perspektive: „Lockdown“ und Versicherung

Grundsätzlich stellt die Corona-Pandemie und der als Reaktion verhängte „Lockdown“ ähnlich wie große Naturkatastrophen eine Situation dar, bei der sich die Betroffenen gegen die wirtschaftlichen Folgen nicht oder nur unzureichend im Vorfeld versichern können. Es ist dann die Aufgabe des Staates eine Art nachträgliche Versicherung bereitzustellen und insbesondere die stark betroffenen Haushalte und Wirtschaftszweige durch kreditfinanzierte staatliche Hilfen zu unterstützen. Dies ist zum einen ein Akt der Solidarität innerhalb einer Nation, zum anderen aber auch konjunkturpolitisch motiviert, da dadurch der Nachfrageausfall verringert wird, der sich sonst auch auf die anderen Wirtschaftszweige auswirken und zu einer Verstärkung und Verlängerung der Krise führen würde.

Europäische Perspektive: Koordination und Unterstützung stark betroffener Mitgliedsländer

Im EU-Binnenmarkt besteht zwischen den Mitgliedsländern eine intensive wirtschaftliche Verflechtung. Konjunkturpolitische Maßnahmen sollten darum zum einen koordiniert werden und zum anderen in den von einer Krise stärker betroffenen Ländern auch ausgeprägter sein.

Im monetären Bereich erfolgt für den Euroraum durch die Europäische Zentralbank eine einheitliche und damit automatisch auch koordinierte Politik, die jedoch systembedingt die unterschiedliche Betroffenheit der einzelnen Länder nicht berücksichtigen kann. Als Reaktion auf die Eurokrise wurden darum Strukturen wie der European Stability Mechanism (ESM) eingeführt, die von einer wirtschaftlichen Krise betroffenen Euroländern Hilfestellung bieten.  Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurden für den Euroraum bereits im April entsprechende Mittel bzw. Garantien im Umfang von insgesamt 540 Mrd. Euro bereitgestellt, um das Vertrauen der Investoren sicherzustellen.

Mehrwertsteuersenkung wirkt sich auch auf importierte Produkte aus

Aufgrund der konkreten Ausprägung und des Ausmaßes der coronabedingten Wirtschaftskrise ist es jedoch unbedingt notwendig, auch fiskalpolitische Maßnahmen ( Maßnahmen, mit denen über die Veränderung der öffentlichen Einnahmen und öffentlichen Ausgaben die konjunkturelle Entwicklung gelenkt werden soll) zu ergreifen. Solche Maßnahmen liegen jedoch bislang ausschließlich in der Kompetenz der einzelnen Mitgliedsländer. Da sich aber beispielsweise die in Deutschland eingeführte Mehrwertsteuersenkung nicht nur auf deutsche, sondern auch auf importierte Produkte auswirkt, profitieren damit auch die Unternehmen aus anderen EU-Ländern. Weil somit zwar die gesamten Kosten durch Deutschland getragen, aber nur ein Teil der positiven Effekte dort realisiert wird, besteht ein Anreiz, selbst eher schwächere Maßnahmen vorzusehen und von der Fiskalpolitik der anderen Länder zu profitieren. Bereits stark verschuldete Länder sind zudem oft gar nicht in der Lage, fiskalpolitische Maßnahmen im notwendigen Umfang an den Kreditmärkten zu finanzieren. Dies führt in diesen Ländern dann zu einer Verschärfung der Krise und dadurch analog zum Nachfrageausfall auf nationaler Ebene zu einer geringeren Nachfrage nach Produkten aus anderen EU-Mitgliedsländern.

Wenn also der EU-Aufbauplan „Next Generation EU“ zusätzliche Maßnahmen für die Staaten attraktiv und insbesondere im Fall von Zuschüssen auch für wirtschaftlich schwächer Länder finanzierbar macht, so profitieren aufgrund der oben genannten beiden Effekte auch Länder wie Deutschland, die selbst von der Pandemie weniger betroffen sind und über ausreichende Möglichkeiten zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise im Inland verfügen.


Weitere Informationen zur Professur von Karl Morasch finden Sie hier >>


Titelbild: © iStockphoto / artJazz