Ein Neubeginn? Das transatlantische Bündnis unter Joe Biden

23 April 2021

Im Rahmen seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die in diesem Jahr digital durchgeführt wurde, sicherte der Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, den europäischen Partnern eine verlässliche Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Herausforderungen zu. Nach vier harten Jahren gelte es, vertrauensvoll und gemeinsam nach vorne zu blicken. Seine Botschaft lautete: „Amerika ist zurück. Das transatlantische Bündnis ist zurück“. Wir haben bei Prof. Carlo Masala nachgefragt, wie er diese Neuerungen sieht und einschätzt.

Ein Interview mit Prof. Carlo Masala, Professur für Internationale Politik

Prof. Masala, Präsident Joe Biden ist nun seit drei Monaten im Amt. Was hat sich aus Ihrer Sicht in dieser Zeit in den Beziehungen USA – Europa, vor allem auch in Bezug auf das transatlantische Bündnis, verändert?

Das politische Klima ist wieder besser geworden. Wir bemerken eine ziemlich große Offensive von Joe Biden gegenüber den Europäern, aber auch von seinem Außenminister und in Teilen von seinem Verteidigungsminister. In jeder Rede, die wir von einem dieser drei Spitzenvertreter hören, wird bekräftigt wie wichtig Partner sind, wie wichtig dieses transatlantische Bündnis ist, wie wichtig die NATO ist. Auf der rhetorischen Ebene hat sich das Klima also extrem verändert und verbessert.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen im Hinblick auf die weltpolitische Lage, insbesondere im Umgang mit Russland und China, ein?

Hier kommen wir zu den Punkten, bei denen man trennen muss zwischen Rhetorik und Realität. China ist die große Herausforderung, alle Ressourcen sollen im Prinzip aufgewendet werden den Ausstieg Chinas zu verlangsamen. Verhindern wird man ihn nicht können, vor allem sicherheitspolitisch. Hier sind die Europäer aber gespalten ob das die richtige Strategie ist, weil sie ein großes ökonomisches Interesse an China haben und sicher gehen wollen, dass dieses ökonomische Interesse, das teilweise die Wirtschaft in den einzelnen europäischen Ländern überhaupt noch am Laufen hält, nicht gefährdet wird. Hier liegen also Konfliktlinien zwischen beiden vor, den Europäern und den Amerikanern. Das gleiche gilt in abgemilderter Art und Weise auch für Russland. Joe Biden hat unlängst in seiner Rede Russland zum ersten Mal wieder Großmacht genannt (man erinnert sich, dass Obama sie ja Regionalmacht genannt hatte), hat ihnen einen zentralen strategischen Dialog angeboten, hat zwar auch Sanktionen verhängt, dabei aber deutlich gemacht, dass er das als proportionale Sanktionen ansieht, so dass es hier zu keiner weiteren Eskalation kam. Das ist der entscheidende Punkt: Die USA wollen ein stabiles Verhältnis mit Russland haben, um sich in Europa zu entlasten und ihre Priorität in China, im südchinesischen Meer, im Indopazifik zu verfolgen. Das lässt bei einigen Europäern die Alarmglocken klingeln, denn sollten die USA zu einem teilkooperativen Verhältnis mit Russland übergehen, dann haben die Europäer immer noch das Problem, wie wir diese Tage sehen, das ein aggressives Russland an der Grenze zur Ukraine liegt. Man sieht also: auf der rhetorischen Ebene sind diese Beziehungen sehr gut, aber auf der policy-Ebene wird deutlich, dass die alten Konflikte nicht verschwunden sind.

Welche weiteren Ziele wird die USA, aus Ihrer Sicht, wenn es um das transatlantische Bündnis geht, verfolgen?

Eine ganz große Frage aus Sicht der USA wird sein, wie man Staaten wie Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea enger an die NATO anbindet und wie man die NATO in den Indopazifik bringt. Hier werden Überlegungen angestrengt Dialogforen anzubieten, ich sehe aber nicht die Bereitschaft aller NATO-Staaten hier mitzuziehen. Die NATO macht aus der amerikanischen Perspektive eigentlich nur noch Sinn, wenn sie ihrer globalen Verantwortung gerecht wird, das heißt sich also auch mit dem Thema Indopazifik auseinandersetzt. Es gibt aber Staaten wie Polen und Frankreich, die würden die Rolle der NATO gerne auf das beschränkt sehen, was im Vertrag festgelegt ist, nämlich auf den transatlantischen Raum.

Welche Rolle wird Deutschland und insbesondere die Bundeswehr bei den kommenden Aufgaben des transatlantischen Bündnisses spielen?

Hier muss man bei der Bundesregierung etwas mehr ins Detail gehen, weil es hier unterschiedliche Schwerpunkte zwischen dem Verteidigungsministerium, dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt geht.  Erstens kann man sagen, dass das Verteidigungsministerium bereit ist der generellen Idee von Joe Biden zu folgen. Diese Bereitschaft existiert nicht im gleichen Maße im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt. Zweitens: Nach den Wahlen und nach der Beendigung der Pandemie bzw. wenn wir diese Pandemie in den Griff bekommen haben, werden wir in die Diskussion kommen, wieviel Geld wir für die Modernisierung Deutschlands zur Verfügung haben und ich glaube, dass die Bundeswehr einer der Verlierer dieser Diskussion sein wird. Ich denke, dass wir im kommenden Jahr zum letzten Mal eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes sehen werden und ich glaube, dass die Jahre danach eher von Kürzungen gekennzeichnet sind, weil wir unvorstellbar viel Geld benötigen um in die Fragen von Digitalisierung, schulischer Bildung, ökonomische Folgen von Covid-19 zu investieren. Dann wird das Problem auf uns zu kommen, dass die Frage gestellt wird, was kann die Bundeswehr noch leisten. Diese Frage wird aber erst dann richtig beantwortet werden können, wenn klar ist, welche Schwerpunktsetzungen wir haben.

Welchen Beitrag kann das „Kompetenzzentrum Krisenfrüherkennung“, dass Sie derzeit an der Universität aufbauen, in diesem politischen Kontext leisten?

Was wir leisten können ist darauf hinzuweisen, wo mögliche Krisen entstehen und wie sich mögliche Krisen zukünftig entwickeln werden; ob die Politik das dann auch aufnimmt und weiterverfolgt ist eine politische Entscheidung. Wir sind ein Dienstleister, der Bilder und Prognosen liefert, die dann politisch aufgegriffen und weiter genutzt werden können.


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