Die politischen Dimensionen hinter der Fußball-WM im Winter

25 November 2022

Ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Dr. Jan Busse zur Fußball-WM in Katar. Als Mitherausgeber eines Buches zu diesem Thema hat er sich intensiv mit der Rolle des Sports in der Politik beschäftigt.

Der Politikwissenschaftler Dr. Jan Busse vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München hat das Buch „Das rebellische Spiel. Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die Katar-WM“ herausgegeben. Er und sein Mitherausgeber Dr. René Wildangel wollen die Aufmerksamkeit, die das emotionale Sportereignis mit sich bringt, nutzen, um ihre fundierten Kenntnisse und ihre Begeisterung für den Nahen Osten an die breite Öffentlichkeit weiterzugeben, aufzuklären und gleichzeitig eine differenzierte und nuancierte Darstellung der Region zu liefern.

Gerade begann die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar, für unsere Gewohnheiten ist dies die erste Winter-WM. Seit der Vergabe des Turniers an das Emirat, aber besonders in den letzten Monaten wurde in Deutschland heftige Kritik am Austragungsort geübt. Seit Beginn der Bauarbeiten vor Ort bis zum Anpfiff sind mehrere tausend Menschen, haupsächlich ausländische Gastarbeiter, in Katar ums Leben gekommen. Tausende haben zu viel zu geringen Löhnen und unter schlechten Bedingungen gearbeitet, sie sind dafür aus dem Ausland nach Katar gekommen, wo sie ohne nennenswerte Rechte ausgebeutet wurden. Gleichzeitig sind in dieser absolutistischen Monarchie auch für die Einheimischen Rechte wie die Versammlungsfreiheit oder Pressefreiheit massiv eingeschränkt und Frauen können kein freies Leben führen. Die ganze (fußballinteressierte) Welt schaut nach Katar, doch wird sie dort auch hinter die Kulissen der gut ausgeleuchteten Stadien blicken? Im Vorfeld wurden viele dieser Missstände angeprangert und auch zum Boykott aufgerufen, doch wie nachhaltig wird diese Kritik nach den Spielen etwas im Land bewirken?


Herr Busse, Sie sind selbst Fußballfan – wie blicken Sie auf die WM in Katar?
Ich glaube, fast alle Fußballfans haben, was die WM in Katar angeht, gemischte Gefühle. Es gibt immer noch Korruptionsvorwürfe im Hinblick auf die Vergabe der Weltmeisterschaft, darüber hinaus ist es so, dass es immer wieder dokumentierte Berichte über Menschenrechtsverletzungen gibt, gerade was Arbeitsrechte angeht, von ausländischen Arbeitern. Die Menschenrechtsverletzungen mit vielen Todesopfern wurden beispielsweise von Amnesty International dokumentiert. Da ist es natürlich klar, dass man als halbwegs interessierter Fan nicht die Augen davor verschließen kann.

Es gab auch in den letzten zwei Jahren immer wieder Boykottforderungen, die auch nachvollziehbar sind. Aber man muss auch sagen, einen Boykott zu fordern ist etwas anderes als zu sagen „Wir lassen diese WM stattfinden und schauen uns die Bedingungen genau an, mahnen Verstöße an, fordern vorher Verbesserungen der Menschenrechte und Arbeitsbedingungen ein und hoffen, dass diese auch bestehen bleiben, wenn die WM vorbei ist.“ Damit besteht zumindest die Hoffnung, dass Katar auch ein Vorbild für die anderen autoritären arabischen Staaten sein könnte, sodass sich im besten Fall überall die Zustände verbessern könnten.

Wie instrumentalisiert Katar den Sport?
Katar hat ziemlich früh erkannt, dass Sport ein Instrument der sogenannten „Soft Power“ sein kann. Katar ist ein kleines Land, es hat keine großen Streitkräfte oder andere „harte“ Machtressourcen und setzt daher voll und ganz auf die Soft Power. Das Emirat nutzt Mittel wie den Sport, aber auch Kultur und Bildung, um sein internationales Ansehen zu erhöhen, sich abzusichern und als Partner des Westens wahrgenommen zu werden, um sich vor potenziellen ausländischen Interventionen zu schützen. Gerade Saudi-Arabien wird in Katar als Bedrohung wahrgenommen. Es liegt also ein Bedrohungsszenario dahinter, aber auch ein Versuch der Einflussnahme, der über die Größe des Landes hinausgeht. Es geht um Ansehen in der Welt, aber auch darum, sich in der Region als Führungsmacht zu inszenieren.

Ist das mehr Schein als Sein oder hat das Land ernsthafte Absichten?
Ich glaube es liegt insofern ein ernsthaftes Bestreben dahinter, als dass man erkannt hat: Die fossilen Energieträger der Region sind endlich. Länder wie Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate haben begriffen, dass ihnen irgendwann das Gas und das Öl ausgehen wird und sie für diese Zeit vorsorgen müssen. Die Ernsthaftigkeit lässt sich auch allein an den mehrstelligen Millionenbeträgen ablesen, die Katar schon in Fußballvereine wie Paris Saint-Germain investiert hat.

Hat Fußball auch eine emanzipatorische Kraft mit Blick auf Frauenrechte?
Ich glaube, Fußball ist ein Indikator für die gesellschaftliche Dynamik insgesamt. Im Buch zeigt zum Beispiel das Kapitel von Anna Reuß (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung), dass in den arabischen Golfstaaten die Zugeständnisse was Frauenrechte angeht oft nur Fassade sind. Einzelne erfolgreiche Sportlerinnen werden besonders vermarktet, aber die desolate Gesamtsituation wird im Unklaren gelassen. Die FIFA verlangt eigentlich, dass die ausrichtende Nation der WM auch eine Frauen-Nationalmannschaft hat. Die gab es auch zeitweise in Katar, geleitet von Monika Staab, einer deutschen Trainerin, aber mittlerweile gibt es diese Mannschaft nur noch auf dem Papier. Es sind also nur nach außen hin Schritte, die zeigen sollen „wir tun hier was“. Es ist sicherlich noch ein weiter Weg und vielleicht ist die WM eine gute Gelegenheit, den Frauen ausdrücklich Solidarität aus dem Westen zu zeigen.

Welche Rolle können Fans aus aller Welt spielen, um den Blick auf die Region zu schärfen?
Ich glaube, dass die Fans sich nicht mit so einer Fassade zufriedengeben dürfen, sondern hinter die Kulissen schauen müssen. Es wird zum Beispiel sicher so sein, dass nun Frauen aus dem Westen als Zuschauerinnen unverhüllt im Stadion sitzen dürfen und auch Alkohol in bestimmten Zonen in der Öffentlichkeit für Fans erlaubt sein wird. Aber da darf man sich nichts vormachen, das liegt nur daran, dass ausländische Besucher einen anderen Status haben. Es wäre also gut, wenn diese Aspekte hinterfragt werden würden und dazu wollen wir auch mit dem Buch einen Beitrag leisten.

Zum Abschluss: Darf man sich über die WM freuen?
Man darf sich sicherlich freuen, denn die Magie des Fußballs liegt in dem, was sich in 90 Minuten auf dem Platz abspielt, in all seiner Unvorhersehbarkeit. „Der Ball ist rund und rebellisch“, sagte mal ein italienischer Sportreporter, der uns damit zu dem Buchtitel inspiriert hat. Das gilt für die Zeit auf dem Platz, die man mit Begeisterung verfolgt. Aber sich freuen zu dürfen ist das eine, das andere ist, was macht man nach diesen 90 Minuten? Da kann man schon dafür plädieren, sich auch intensiv mit den Problemen zu beschäftigen, die mit der WM einhergehen.


Titelbild: © gettyimages/Shakeel Sha