
Podiumsdiskussion: Wie gelang die „Armee der Einheit“?
15 November 2019
Aus zwei Armeen eine machen – wie konnte das gelingen? Auf der Podiumsdiskussion anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls im Universitätscasino zum Thema „(Wie) gelang die „Armee der Einheit“?“ am 7. November 2019, die zugleich die Auftaktveranstaltung für den 7. Alumni-Kongress der beiden Universitäten der Bundeswehr bildete, sprachen Zeitzeugen und Experten über ihre Erlebnisse aus der Wendezeit und danach.
Einführende Worte kamen von Prof. Jürgen Freiherr von Kruedener, der von 1987 bis 1993 Präsident der Universität der Bundeswehr München war. Er erfuhr damals aus verschiedenen Gründen erst am nächsten Morgen von Mitarbeitern der Universität vom Mauerfall und den Geschehnissen der Nacht. Die große Euphorie setzte sich nur sehr langsam bis Neubiberg durch, erinnert er sich. Laut Freiherr von Kruedener gab es kein Glockenläuten am 10. November oder Sondersitzungen des Senats – warum auch? „Die DDR existierte ja weiter. Es herrschte also zunächst Business as usual.“
Skepsis in der Nacht des Mauerfalls
Moderatorin Prof. Sonja Kretzschmar vom Institut für Journalistik lenkte die Erinnerung ihrer Gesprächspartner zunächst auf die Nacht des 9. November 1989. Die damaligen NVA-Soldaten waren sich einig, die Freude über die Nachricht, die Mauer sei gefallen, stand nicht an erster Stelle. Eher kam Skepsis auf: „Was soll daraus – und aus uns – werden?“ Alle Gäste des Podiums waren sich sicher, alles hätte auch ganz anders ausgehen können. Doch durch den guten Willen der Soldaten beider Seiten und kameradschaftliche Zusammenarbeit konnte nach dem „Startschuss“ am 9. November 1989 am 4. Oktober 1990 die NVA in die Bundeswehr integriert werden.
Kameradschaft zwischen Ost und West
Oberstleutnant a. D. Udo Beßer, der sowohl zwei Jahrzehnte in der NVA als auch ebenso lang in der Bundeswehr gedient hat, beschrieb in der Runde seine Gefühle beim Tragen der neuen Uniform am 4. Oktober 1990: „Man fühlte sich wie ein Verräter.“ Generalmajor a. D. Justus Gräbner war damals Referent im Verteidigungsministerium in Bonn und berichtete über die umfassenden Planungen, die anliefen, um die Armeen zusammenzuführen. Historiker Dr. Rüdiger Wenzke, Leitender Wissenschaftlicher Direktor beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, erklärte, man könne die Geschehnisse nicht Vereinigung von zwei Armeen nennen. Vielmehr wurde die NVA samt ihrem Material und Personal abgewickelt und in die Bundeswehr überführt. Joachim Knorr, der vierte Podiumsteilnehmer, war bis zur Wende Soldat in Bautzen und wurde dann in die Bundeswehr übernommen, mit geringerem Dienstgrad und Gehalt. Heute ist er Mitarbeiter der Universität der Bundeswehr München. Auf dem Podium berichtete er von seiner großen Verunsicherung durch die Wende. Doch vor allem die sichere und friedliche Abwicklung und die Kameradschaft zwischen Ost- und Westsoldaten habe ihn beeindruckt.
Ein langer, aber friedlicher Prozess
Die Entstehung einer „Armee der Einheit“ begann also am 4. Oktober 1990, wenngleich der 9. November 1989 die Grundlage dafür bildete. Der Prozess der Zusammenführung sollte Jahre dauern, doch letztendlich gelang er. Vor allem die ehemaligen NVA-Soldaten auf dem Podium waren damals nicht mit allen Einzelheiten einverstanden, doch dass die Zusammenführung friedlich gelang, sei allen Beteiligten hoch anzurechnen. Oberstleutnant a. D. Beßer fasste zusammen: „Wenn man das Prinzip der inneren Führung und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bundeswehr mit der Einsatzbereitschaft und der technischen Ausstattung der NVA kombiniert hätte, wäre die Bundeswehr heute eine ganz, ganz tolle Armee.“
Weiterführende Informationen (externe Links):
Udo Beßer hat seine Erinnerungen als „Offizier in zwei deutschen Nachkriegsarmeen“ kürzlich in dem Buch „Vom Soldatsein“ veröffentlicht: https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=9069
Zum Forschungsschwerpunkt „Militärgeschichte nach 1945“ beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: https://www.zmsbw.de/html/zms_geschichteab45.php
Ausstellung im Haus der Deutschen Geschichte „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“: https://www.hdg.de/haus-der-geschichte/ausstellungen/ab-morgen-kameraden-armee-der-einheit
Bildunterschrift 1: Auf dem Podium diskutieren (v.l.n.r.): Joachim Knorr, Justus Gräbner, Moderatorin Sonja Kretzschmar, Udo Beßer und Rüdiger Wenzke über NVA und Bundeswehr
Bildquelle: Universität der Bundeswehr München
Bildunterschrift 2: Der ehemalige Präsident der Universität Prof. Jürgen Freiherr von Kruedener erinnert an die Universität zur Wendezeit
Bildquelle: Universität der Bundeswehr München / Schunk