Seit einiger Zeit führt die (Haupt-)Migrationsroute zwischen Nordafrika und der EU über den Westlichen Mittelmeerraum, in der Antike der Ort der Säulen des Herkules, in dem Atlantik und Mittelmeer sich treffen, wie auch Europa und Afrika. Seither hat sich die Menschenrechts- und Sicherheitslage in diesem Raum erheblich verschärft – weitgehend unterhalb des Radars der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Lage der Migranten zwischen (vielfach enttäuschter) Hoffnung auf ein besseres Leben, humanitärer Katastrophe und tragischen Einzelschicksalen wirft schwerwiegende menschenrechtliche und ethische Fragen auf. Schlepperkriminalität, Grenzsicherung und die zunehmend angespannte allgemeine Sicherheitslage, stellen aber auch die Sicherheitskräfte beiderseits der Straße von Gibraltar vor enorme Herausforderungen.
Vor diesem Hintergrund haben 20 Studierende der Fakultät für Sozialwissenschaften im Rahmen des MA-Moduls „Internationales Recht und Politik in der Praxis“ eine 9-tägige Lehr- und Forschungsreise (LFR) nach Spanien, Gibraltar und Marokko durchgeführt. Gemeinsam mit den Mitarbeitern des Institutes, Dr. Donald Riznik und Lisa Kammermeier konnten Prof. Daniel-Erasmus Khan (Völker- und Europarecht) und Prof. Stephan Stetter (Internationale Politik und Konfliktforschung) dabei erneut – wie bereits in den vergangenen Jahren – ein thematisch umfangreiches Besuchsprogramm organisieren. Das Lehr- und Lernziel bestand dabei auch in diesem Jahr wieder darin, den Studierenden nach intensiver akademischer Vorbereitung anhand eines ganz konkreten Beispiels unmittelbar vor Ort einen Eindruck von politischer und (völker-)rechtlicher Realität zu vermitteln.
Grenze oder Brücke?
Von der atemberaubenden maurischen Festungsanlage in Granada (Alhambra) und der Moschee-Kathedrale in Cordoba über die sich im Zeichen des Brexit weiter verkomplizierende Situation Gibraltars und den konfliktträchtigen spanischen Enklaven in Nordafrika bis hin zu Cannabisanbau und -handel in Nordmarokko sowie der allgegenwärtigen Migrationsproblematik; eines wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studienreise rasch klar: Diese Region ist schon immer gekennzeichnet durch beides, ein dichtes und fruchtbares Geflecht kultureller, wirtschaftlicher und politischer Beziehungen, aber eben auch durch zahlreiche politische Konfliktlinien. Engagierte NGOs (Nichtregierungsorganisationen), der Flüchtlingsankunftshafen in Motril, die britische Kronkolonie, die „Festung Melilla“, die sozial und ökonomisch vergessenen Orte im Rif-Gebirge: Überall erwarteten Studierende und Lehrende gleichermaßen beeindruckende menschliche Begegnungen und kompetente Gesprächspartner: Von einem jungen Flüchtling aus dem sub-saharischen Afrika mit seiner ebenso trostlosen wie exemplarischen Geschichte über den Vizegouverneur der britischen Kronkolonie hin zu einem Gewerkschaftsführer aus Marokko.
Beeindruckendes Informationsprogramm
Nach einer 7-stündigen nächtlichen Mittelmeerüberquerung mit der Fähre entlang der Schlepperrouten erwartete die Gruppe dann auf afrikanischem Boden ein in seiner Intensität und Herzlichkeit beeindruckendes Informationsprogramm durch die (paramilitärische) spanische Grenzpolizei in Melilla. Hier, an einem der Brennpunkte der (europäischen) Migrationskrise überhaupt, konnten nicht nur die Grenzanlagen sowie das technisch hochgerüstete Kontrollzentrum der Guardia Civil in Augenschein genommen werden, sondern auch ganz hautnah der „kleine Grenzverkehr“. Nach einem Zwischenstopp in Fès, wo den Studierenden unter fachkundiger Führung eine intensive Begegnung mit der Realität einer alten und ursprünglichen islamischen Stadt- und Handelsgesellschaft ermöglicht wurde, stand sodann in der marokkanischen Hauptstadt Rabat ein ausführlicher Informations- und Meinungsaustausch zu Flüchtlings- und Sicherheitsfragen, dem Westsaharakonflikt sowie den facettenreichen marokkanisch-europäischen Beziehungen auf dem Programm: Die Deutschen Botschaft (Verteidigungsattaché, Gesandter, Konsularabteilung, Bundespolizei), die Delegation der Europäischen Union sowie eine Reihe von NGOs konnten als kompetente Gesprächspartner gewonnen werden.
Wächst hier zusammen, was zusammengehört?
Grenzen haben ein zweifaches Gesicht: Sie trennen und sie verbinden gleichermaßen. Spätestens beim Abflug in Tanger, wo der Gruppe in der „Old American Legation“ – dem einzigen vom US-Kongress anerkannten „National Historic Landmark“ außerhalb der USA – noch einmal eindrucksvoll die engen und vielfältigen Verbindungen zwischen dem Maghreb und der „westlichen Welt“ veranschaulicht wurden, war wohl allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser lehrreichen Studienreise klar: Die sagenumwobenen Säulen des Herkules, die den Eingang zum Mittelmeer beherrschen, sie stehen nicht umsonst zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar – und sie sind nur als Paar denkbar.
Bild: Johannes Busch
Bildunterschrift: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Lehr- und Forschungsreise zu Gast bei der spanischen Guardia Civil in Melilla