
Recherche unter Rockern
20 November 2018
Muskelstarker deutsch-türkischer Rap und martialische Machtallüren: Der Rockerclub "Osmanen" hat für viel Aufmerksamkeit in Deutschland gesorgt. Dr. Rafael Binkowski hat als stellvertretender Redaktionsleiter der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten in Ludwigsburg jahrelang darüber berichtet. Im Sommer 2018 wurde er dafür mit dem ersten Platz des Konrad-Adenauer Lokaljournalistenpreises ausgezeichnet.
Blick hinter die Kulissen
Sonja Kretzschmar, Professorin für Journalismus an der Fakultät für Betriebswirtschaft an der Universität der Bundeswehr München hat den Journalisten in ihr Kolloquium zum Thema "Lokaljournalismus" eingeladen, um über seine Arbeit zu erzählen. "Ausführlich recherchieren und anschließend Geschichten darüber schreiben, das ist mein Thema, um Leser zu gewinnen, sagt Binkowski. Türken und Kurden bekämpfen sich nicht nur in ihren Heimatländern. Ihre Machtkämpfe tragen sie auch in andere Regionen, so zum Beispiel nach Baden-Württemberg. Mehrere Monate recherchierte er im Untergrund, aber immer mit seinem richtigen Namen und mit offenem Visier, er spricht mit Informanten und Ermittlern und verfolgt Gerichtsprozesse - bis heute. "Für unsere Zeitung habe ich immer den Blick hinter die Kulissen geworfen", erklärt der Journalist. "Gefürchtet habe ich mich nicht, aber ich hatte immer Respekt. Ich habe mir immer sehr genau überlegt, wo ich welches Gespräch mit wem wahrnehme."
Strenge Hierarchien und ein starrer Kodex
Binkowski sagt, dass sich die Osmanen zu Beginn stark sozial engagiert präsentiert haben. Sie verfolgten das Ziel, junge Menschen von der Straße zu holen. Auf 400 Mitglieder sind die Osmanen binnen kurzer Zeit angewachsen. "Ich habe zahlreiche Hintergrundgespräche mit dem LKA, der Polizei und Informanten geführt." Mittlerweile seien fast alle Führungsmitglieder im Gefängnis, trotzdem schwele der Konflikt weiter. Strenge Hierarchien und ein starrer Kodex machen die Struktur der Osmanen aus. Sie sind straff organisiert. Heute ist die Gruppe verboten. Am schwierigsten sei es in dem seit April 2018 laufenden Hochsicherheitsprozess, der von 300 Polizisten bewacht wird, glaubwürdige Zeugen zu finden. Hier gilt das Gesetz des Schweigens. Die Osmanen würden sehr eng von der Türkei gesteuert. Die Verbindung zur politischen Partei AKP von Erdogan und zum Chef, Mehmet Bagci, sei sehr stark ausgeprägt. Bei dem Prozess gegen die Osmanen gehe es um Geld, Waffen, Gewalt, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Mordversuch ... schwerwiegende Vorwürfe stünden im Raum. Viel Geld, so wird es vermutet, komme aus der Türkei, von wo aus der Kampf gegen die Kurden in Deutschland geführt werden soll.
Stets Respekt und Fairness walten lassen
Was bedeutet so ein Riesenrecherchethema für einen Redakteur? Welche Erkenntnisse zieht er daraus für seine Recherche? "Ich habe immer klar und direkt gearbeitet, keine Distanz und keine Absicherungen vorgenommen", verrät Binkowski. Wichtig sei: Mehrere Quellen zu sprechen, Vertraulichkeit zu wahren, stets Respekt und Fairness walten zu lassen. "Eine gute Recherche im Lokalen erfordert eine Menge Zeit und Ressourcen, man braucht einen systematischen Rechercheplan, sonst laufen die Untersuchungen ins Leere. Beweise und Quellen müssen sorgfältig und kritisch geprüft und ausgewertet werden. An einer langfristigen Ausrichtung kommt man bei solch einem vielschichtigen Thema nicht vorbei. "Ganz wichtig ist auch das Backup der Vorgesetzten", fügt der Redakteur hinzu, "außerdem eine gute Rechtsabteilung, denn solche Themen sind tricky." Und ein ganz wichtiges Kriterium für Binkowskis Arbeit: Fairness und Klarheit. Das sei bei journalistischer Arbeit immer vonnöten. Bei solchen Themen ganz besonders.
Großes Interesse bei den Studierenden
Der erfahrene Lokalredakteur Binkowski stellte sich zahlreichen Fragen aus dem Publikum. Die Studierenden des Seminars und auch die Gäste waren mit großem Interesse dabei. Für das Kolloquium war der Vortrag eine große Bereicherung. Zeigt er doch, wie unentbehrlich professioneller Lokaljournalismus nach wie vor ist und wie es gelingen kann, mit Expertise und Freude an spannenden Themen und guten Recherchen lokale Zeitungen nicht nur aufzuwerten, sondern ihnen in ihrer regionalen Besonderheit ein spezifisches Profil mit großer Leserbindung zu geben.