100 Milliarden Euro – „gut“ in Sicherheit investieren?

16 März 2022

Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen bestmöglich ausgestattet werden. Das ist angesichts aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen wichtiger denn je. Es ist zynisch, dass erst angesichts eines Krieges die Rüstungsbeschaffung wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt, denn die jüngste Planung eines zusätzlichen Sondervermögens von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr eröffnet hier neue Möglichkeiten. Unabhängig von politisch-gesellschaftlichen Aspekten gilt es diese neuen Möglichkeiten auch in betriebswirtschaftlichen Kategorien von Effektivität und Effizienz „gut“ zu nutzen.

Ein Kommentar von Dr. Andreas H. Glas, Arbeitsgebiet Beschaffung, Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften

Sicherheitspolitische Zeitenwende und das Ende zu knapper Kassenlage

Unmittelbar nach Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine erklärte Bundeskanzler Scholz in einer bemerkenswerten Regierungserklärung: „Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt. […] Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind. Darum geht es, und das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa.“ Hierzu wurde ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Finanzierung eingerichtet.

Tatsächlich sind die 100 Mrd. Euro sicherlich ein politisches Signal letztlich „alles“ zu tun, um die Bundeswehr angesichts aktueller Kriegsgefahr zu stärken – es ist aber auch ein Signal die seit Jahrzehnten bestehende Situation (zu) knapper Finanzmittel für die Bundeswehr zu beenden. So war der Haushalt der Bundeswehr seit Gründung bis in die 1990er Jahre immer deutlich über 2% des Bruttoinlandsprodukts, ab 1992 unterschritt es diese Marke und erreichte sogar einen bisherigen Tiefstand von 1,1% in 2016. Aktuell sind es 1,4% - trotz NATO-Wales-Versprechen 2% in Verteidigung zu investieren. Die „100 Mrd.“ markieren also deutlich das Ende jahrzehntelanger knapper Kassen der Bundeswehr. Zum Vergleich: Aktuell gibt die Bundeswehr rund 10 Mrd. Euro jährlich für rüstungsinvestive Ausgaben aus.

Was und wie soll die Bundeswehr einkaufen?

Am 15.03.2022 wurde auch der Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestages veröffentlicht und darin gibt es zur Ausstattung wieder viele berechtige Kritikpunkte bzw. die Forderung die Strukturen zu modernisieren bzw. zu vereinfachen. Wie kann man also besser Rüstungsgüter einkaufen? Stimmt es das „viel Geld viel hilft“? Man muss kritisch und aufmerksam bleiben, da 100 Mrd. sich nach „unendlich“ anhören, aber angesichts hoher Systempreise und zahlreichen Bedarfen eben rasch verplant sein können. F35, Puma statt Marder, schwerer Transporthubschrauber, Drohnen, Luft- und Raketenabwehr, FCAS, MCGS und dann noch Milliarden für Munition, Depotbestände, Digitalisierung usw. – die Bedarfsliste ist sicher lang. Umso mehr gilt es die Rüstungsbeschaffung zu optimieren.

Dabei umfasst das Rüstungsmanagement im weiteren Sinn nicht nur die Bundeswehrverwaltung mit ihrem Beschaffungs- und Nutzungsmanagement, sondern auch die militärische Bedarfsplanung, sowie die wehrtechnische Industrie mit ihren Entwicklungs- und Produktionskapazitäten. Kritik am Rüstungsmanagement gibt es seit Jahren, Projekte verzögern sich, laufen aus dem Kostenrahmen oder erfüllen nur bedingt die ursprünglichen Anforderungen. Medial-politisch gehen da positiv verlaufende Projekte unter und der „Schwarze Peter“ ist meist auch schnell vergeben.

Es wäre aber zu einfach nur die „Verwaltung“ als Problem auszumachen – die Herausforderungen im Rüstungsmanagement sind komplexer und auch schwieriger zu lösen. Ein strategischer Einklang von Finanzressourcen, Bedarfsplanung, Beschaffungsprozessen und Industriekapazitäten ist erforderlich.

Notwendigkeit der Erhöhung von Agilität und Resilienz

Denn es reicht nicht mehr Systeme mit bewährten aber langwierigen Prozessen zu kaufen. Man braucht Systeme im passenden Zeitfenster, bevor sie durch Innovationen rasch veralten. Die wichtige Schnittstelle zur Industrie muss daher in ihrer Agilität und Geschwindigkeit der hohen Dynamik der technischen Entwicklung aber auch der Dynamik militärische Bedrohung entsprechen. Die Schnittstelle Streitkräfte – Industrie muss aber auch belastbarer werden. Resiliente Lieferketten und ein hoher Lieferservicegrad („Rüstungswirtschaftliche Kaltstartfähigkeit“) sind Dimensionen, die an Bedeutung zunehmen werden.

Hier gilt es in ökonomischer Forschung zu Rüstungsfragen den Diskurs über „richtige“, das heißt „effizient-effektive“ Rüstung zu versachlichen. Die Wirtschaftlichkeit nationaler/europäischer Rüstungskapazitäten ist auch unter Bezug auf Kriterien wie Resilienz, Robustheit und (ökonomische) Nachhaltigkeit darzustellen und zu bewerten. Internationale Benchmarks sind hier ebenfalls wichtig: Sogar die USA reformierten zuletzt ihr Rüstungsmanagement mit einem „adaptiven Beschaffungsprozess“, um schneller am Markt agieren zu können.

Was ist uns Sicherheit wert und wie soll Sicherheit „beschafft“ werden? Diesen Fragen geht Andreas H. Glas in seiner Forschung nach. Eigene Studien zum Stimmungsbild der deutschen Rüstungsindustrie („Defense Industry Compass“) und zu innovativen Methoden der Rüstungsbeschaffung („Performance Based Contracting“) sind da ein erster Baustein.

 

PD Dr. Andreas H. Glas forscht zu Rüstungsbeschaffung, Sicherheits- und Militärökonomie und ist Leiter der Forschungsgruppe Defense Acquisition & Supply Management (organisatorisch verankert am Arbeitsgebiet Beschaffung, Fakultät Wirtschafts- und Organisationswissenschaften). Mehr Informationen finden Sie hier >


Den Bericht der Wehrbeauftragten finden Sie hier zum Download >


Titelbild: © gettyimages/huettenhoelscher