Was bringen die Lockdown- und Quarantänemaßnahmen?

23 April 2020

Bewertung der Wirksamkeit durch Modellbildung und Simulation

Ein Beitrag von Prof. Bo Hu, Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsinformatik

Seit Ausbruch von COVID-19 haben weltweit bereits mehr als 180.000 Menschen ihr Leben verloren, die Zahl der bestätigten Infizierten ist auf mehr als 2,5 Millionen gestiegen. Prof. Bo Hu vom Institut für Unternehmensführung an der Universität der Bundeswehr München, hat nach modellbasierter Analyse der COVID-19 Ausbreitung in China gemeinsam mit einem Industriepartner ein System-Dynamics-Modell für die Ausbreitung des Virus in Deutschland und in anderen Ländern, aber auch für den Freistaat Bayern und die Landeshaupt München entwickelt, mit dem die Wirksamkeit von Lockdown- und Quarantänemaßnahmen anhand veröffentlichter Corona-Fallzahlen simuliert und bewertet werden kann.

Infektionsrate: Der entscheidende Parameter für den Verlauf der Epidemie

Bei der Begrenzung der Corona Epidemie kommt es auf Verhaltensänderungen an: Also weniger soziale Kontakte mit anderen und falls diese stattfinden, Abstand halten, häufiges Hände waschen, etc. Wie allerdings wirken sich diese Verhaltensänderungen tatsächlich aus? Wann zeigen die staatlichen Lockdown-Maßnahmen Wirkung? Und wie könnte die Effektivität des Einsatzes einer Tracking App beurteilt werden?

Antworten darauf gibt das System-Dynamics-Modell von Prof. Bo Hu. Das Modell stellt zum einen kumulativ die Anzahl der Infizierten in Deutschland seit Anfang 2020 dar und zum anderen eine berechnete Anzahl der aktuell angesteckten, aber noch nicht diagnostizierten Fälle in Deutschland. Der entscheidende Parameter für den Verlauf der Epidemie ist die Infektionsrate. Maßgeblich für die Infektionsrate ist die sogenannte Kontaktfrequenz.

Was ist die Kontaktfrequenz?

Unter der Kontaktfrequenz versteht man die Anzahl von (Norm-) Kontakten eines Menschen an einem Tag, die jeweils mit einprozentiger Wahrscheinlichkeit zu einer Infektion führen können, wenn die Kontaktperson infiziert ist. Das könnte beispielsweise das Zusammentreffen mit einem Abstand unter einem Meter sein. Nähere Kontakte, zum Beispiel das Händeschütteln erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung deutlich. Gemäß Prof. Dr. med. Christian Drosten liegt die Infektionswahrscheinlichkeit für einen Arzt bei einem 15-minütigen Besuch eines Infizierten bei 5%. Das entspricht 5 (Norm-) Kontakten bzw. einem intensiven Kontakt für jedes Patientengespräch.

Vor dem 16.03.2020 lag die durchschnittliche tägliche Kontaktfrequenz in Deutschland bei 18 Kontakten. Zur Zeit des Karnevals stieg sie zeitweise sogar auf 26. Durch die Lockdown-Maßnahmen der letzten Wochen konnte in Bayern und in München die Anzahl der rechnerischen Normkontakte stark gesenkt werden. Die Zeit zwischen der Ansteckung und der COVID-19 Diagnose liegt gemäß der Modellierung bei 6,5 Tagen. Durch die Einführung der derzeit diskutierten Tracking App könnte dieser Wert unter realistischen Annahmen auf 5,5 gesenkt werden. Das würde eine Reduzierung der Anzahl der noch nicht diagnostizierten aber ansteckenden Personen um 15% bedeuten. Diese und weitere Maßnahmen wie zum Beispiel die zukünftige Maskentragepflicht in Bayern, in allen Geschäften und im gesamten öffentlichen Personennahverkehr lassen eine allmähliche Rücknahme der Quarantänemaßnahmen für vertretbar erscheinen. Die Kontaktfrequenz würde sich zwar wieder erhöhen, die Anzahl der Neuinfektionen jedoch in etwa konstant bleiben.


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