Psychotherapeutische Behandlung in Zeiten von Corona

15 Mai 2020

Psychotherapien dürfen durchgeführt werden, doch aus verschiedenen Gründen ist dies oft nicht in den Ambulanzräumen möglich. Ein Beitrag über neue Therapiesettings und neue Themen.

Ein Beitrag des Leiters der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz, Prof. Joachim Kruse, Professur für Klinische Psychologie und Traumatherapie.

In Zeiten der COVID-19-Pandemie hat sich die Arbeit der psychotherapeutischen Hochschulambulanz stark verändert. Zwar dürfen Psychotherapeuten – genau wie Ärzte – grundsätzlich uneingeschränkt aufgesucht werden und wir bieten das unter Einhaltung der geltenden Abstands- und Hygienebestimmungen insbesondere für stark belastete Patientinnen und Patienten auch an. Für viele kommt das jedoch nicht in Frage, da sie einer Risikogruppe angehören oder weite Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätten. Der Großteil der laufenden Psychotherapien (versuchsweise auch Gruppentherapien) findet daher jetzt als Video-Therapie statt, um die psychotherapeutische Versorgung sicherzustellen. Dafür nutzen wir besonders zertifizierte Videoverbindungen, die hohen Datenschutzanforderungen genügen. Bei Patienten in laufenden Therapien, die bereits vor der Pandemie bei uns waren, ist dieser Übergang meist gut gelungen. Allein das Aufrechterhalten des therapeutischen Kontakts hat stabilisierende Wirkung und schützt vor der Auswirkung von Stress durch Ausgangsbeschränkungen und Problemen im Zusammenhang mit der Pandemie-Situation.

Isolation und fehlende soziale Kontakte

Die individuellen Auswirkungen der Beschränkungen sind dabei ganz unterschiedlich. So können neue Belastungen wie berufliche Sorgen oder Spannungen in der Familie auftreten, sich bereits bestehende Belastungen verstärken oder wichtige Unterstützung wie der Austausch mit Freunden oder Halt gebende Rituale wie Sport unmöglich geworden sein.

Viele therapeutische Methoden und Prozesse lassen sich auch über Videokontakt umsetzen oder aufrechterhalten. Das gleiche wie ein direkter Kontakt, ist es aber nicht. Für uns ist es wichtig, flexibel zu bleiben, u.U. auch mehrere kürzere Kontakte pro Woche anzubieten und den Patientinnen und Patienten zu signalisieren, dass sie auch in einer solchen Situation nicht alleingelassen werden.

Auch wenn unsere Fallzahlen nicht so hoch sind, um allgemeingültige Aussagen machen zu können, haben wir doch störungsspezifische Beobachtungen machen können.

Bei einer Vielzahl von depressiv Erkrankten verschlimmerte sich die Symptomatik oder bereits erzielte Erfolge scheinen zu verschwinden. Gerade hier sind Isolation und fehlende Kontakte für die Symptomatik abträglich und lassen sich auch nicht gut über telefonieren oder digitale Medien ausgleichen. Auch Aktivitäten, die sonst stimmungsstabilisierend wirken, fallen weg oder sind stark eingeschränkt.

Abnehmendes Wohlbefinden durch Corona-Beschränkungen

Bei manchen Patienten war zu beobachten, dass sie sich zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen sogar erleichtert fühlten. Sie mussten sich vielen ihrer Ängste jetzt nicht mehr stellen, weil sie sich ihnen nicht mehr stellen konnten. Mit zunehmender Dauer ließ dieser Effekt jedoch nach und auch hier sehen wir abnehmendes Wohlbefinden und Verschlechterung der Symptomatik. Psychisch kranke Menschen treffen die Belastungen, die wir alle in der Ausgangsbeschränkung erleben, stärker, da sie weniger Ressourcen haben, um mit diesen zusätzlichen Stressoren fertig zu werden.

Für die neuen therapeutischen Themen, wie weggefallene Sozialkontakte oder die unklare zeitliche Perspektive der Beschränkungen, gibt es natürlich keine einfachen Standardlösungen, aber wir unterstützen Patienten beispielsweise dabei, neue Rituale zu entwickeln, auch bei Sozialkontakten kreativ zu werden und im Sinne der Achtsamkeit mit Gedanken und Aufmerksamkeit soweit möglich im Hier und Jetzt zu bleiben und sich auf Probleme zu konzentrieren, die man beeinflussen kann.

Psychotherapeutische Beratung per Telefon

Auch Menschen, die nicht in psychotherapeutischer Behandlung sind, können durch die aktuelle Situation sehr stark belastet sein. So kann auch bei ihnen ein Bedarf für Rat und Unterstützung entstehen. Um dies möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, bietet die Psychotherapeutische Hochschulambulanz in Kooperation mit dem Bayerischen Roten Kreuz psychotherapeutische Beratung per Telefon an. Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr können Menschen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) mit Gesprächsbedarf kostenlos und anonym unter 08041 / 765598 mit approbierten Psychotherapeutinnen über ihre Situation sprechen, um persönliche Wege durch und aus der Krise zu entwickeln. Kurze Gespräche sind dabei genauso möglich wie regelmäßige Kontakte. Bei Bedarf ist auch die Anbindung an die Hochschulambulanz oder die Verarbeitung belastender Ereignisse mittels Online-Tools möglich. Das Angebot richtet sich explizit auch an medizinisches Fachpersonal, welches in der gegenwärtigen Situation Außergewöhnliches zu leisten hat.

So versuchen wir auf verschiedenen Ebenen unseren Anteil an der Bewältigung der mit der Pandemie einhergehenden Belastungen zu leisten. Ob nach Abflauen der Neuinfektionen und damit der Beschränkungen im Leben und Alltag vermehrt Patienten mit neu erworbenen psychischen Problemen zu uns kommen werden, ist gegenwärtig noch spekulativ. Allerdings lassen unsere Beobachtungen in der Praxis einen solchen Anstieg erwarten.


Die Psychotherapeutische Hochschulambulanz ist dem Institut für Psychologie angegliedert und bietet im Rahmen des für Forschung und Lehre notwendigen Umfangs Psychotherapie für die Allgemeinbevölkerung an.

Studierende des Master-Studiengangs "Klinische Psychologie und Psychotherapie“ lernen hier in praxisorientierten Seminaren die Grundlagen psychotherapeutischer Diagnostik und Therapie. Die Mitarbeiter der Klinisch-Psychologischen Lehrstühle und fünf festangestellte Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten arbeiten in der Hochschulambulanz und betreuen im Durchschnitt etwa 80 Patienten pro Quartal.


Titelbild: © iStockphoto / Evgeny Gromov