Alle in einem Boot: Kommunikation in Zeiten von Corona

30 Juli 2020

Je länger die Kontaktbeschränkungen und Distanzgebote in der Corona-Krise dauern, desto offener regt sich Widerstand. Dies ist trotz aller absurd anmutenden beigemischten Verschwörungstheorien allerdings ganz normal; der politische Betrieb sowie jeder verantwortliche Kommunikator sollte deshalb beim Umgang mit sich polarisierenden Stimmungen vor allem auch aus den Fehlern der Flüchtlingskrise lernen.

Ein Kommentar von Prof. Natascha Zowislo-Grünewald (Professorin für Unternehmenskommunikation) und Dr. Julian Hajduk

In Zeiten der Corona-Pandemie scheinen sich nun jedoch alte Muster zu wiederholen: Statt die Vielschichtigkeit der Thematik zu berücksichtigen, wird nach missionarischem Muster verfahren. Auf der einen Seite steht dabei die aufgeklärte, helle, rational argumentierende, meistens gebildete Mehrheitsgesellschaft – auf der anderen Seite ihr genaues Gegenteil.

Dabei können wir aus mehreren aktuellen Studien zur Vertrauensforschung den Schluss ziehen, dass eine aufkeimende politische Unruhe in der Gesellschaft mehrheitlich eben nicht auf dem Nährboden von Verschwörungstheorien und Meinungen von Sonderlingen fußt, sondern vielmehr der diffusen Gefühlslage entspringt, dass "da etwas nicht stimmt" – eine Gefühlslage, welche sodann durch die meistens eben „ad hominem“ geführte Argumentation innerhalb des Diskurses zusätzlich verstärkt wird.

Denn in der nachmetaphysischen Welt, in der wir wohl spätestens seit Einstein, Heisenberg, Wittgenstein und Husserl leben, können individuelle Empfindungen bereits die Verschiedenartigkeit von Standpunkten zu ein und demselben Sachverhalt legitimieren.

Bereitschaft zum Kompromiss

Eine grundlegende Aufgabe von (Organisations-) Kommunikation stellt der Ausgleich dar: ob man – wie Siemens – gleichzeitig seinen Shareholdern sowie den gestiegenen Anforderungen an ein neues Umweltbewusstsein gerecht werden muss oder ob man – wie in einer jeden Paarbeziehung – einen Kompromiss finden muss aus Familienausflügen und Fußballschauen in der Kneipe. Dieser Kompromisswille wird im Fachbereich der Organisationskommunikation Harmonisierungsfunktion genannt und ist für Verantwortliche gerade dann von entscheidender Bedeutung, wenn die (öffentliche) Meinung in ihren Konsequenzen besonders weitreichende Themen verhandelt sowie die Dialektik dieser Themen – ihr mögliches Für und Wider – besonders polar ausgeprägt ist.

Um direkt das Feld der Politik und die anhängige politische Kommunikation zu betreten, sei an dieser Stelle das Beispiel der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 genannt. Unter einer wertneutralen Beobachterperspektive waren beide obengenannten Punkte voll erfüllt, da die weitreichenden Konsequenzen – eine signifikante demographische Veränderung durch den vermutlich dauerhaften Zuzug hunderttausender Vertriebener – extrem polarisierend rezipiert wurden.

Ernstnehmen jedes Einzelnen

Eine konkrete Ausformung dieser Polarität stellte dabei der (Wieder-)Aufstieg der AfD dar, welche nach der überstandenen Finanz- und Eurokrise eigentlich bereits auf dem besten Wege war, als politische Randerscheinung im Grau der "Anderen" zu verschwinden. Versteht man den Zuspruch für die Flüchtlingspolitik der Partei nun als kommunikativen Akt des negativen Pols hinsichtlich des Diskurses der "deutschen Einwanderungspolitik", so kommt im organisationskommunikativen Sinne klar die Notwendigkeit einer Harmonisierung zum Tragen. Harmonisierung bedeutet dabei nicht, die eigene Position so weit zu verwässern, dass am Ende der Dialektik nur Beliebigkeit bleibt, sondern vielmehr, alle Anspruchsgruppen – das heißt jeden vom Sachverhalt direkt oder indirekt Betroffenen – mit ihren Bedürfnissen, Sorgen, Ängsten, Nöten und Wünschen zumindest ernst zu nehmen: "Ich verstehe dich, bleibe aus diversen Gründen aber bei meiner Meinung."

Nach der gängigen Theorie der Anspruchsgruppen ist es nicht möglich, jeden noch so absurden Wunsch ans eigene Denken, Reden und Handeln zu berücksichtigen, da allein die Vielzahl der so geäußerten Ansprüche vollständige Handlungsunfähigkeit bedeuten würde.

Ließe man allerdings die sogenannten Hardliner – rechte wie linke Verschwörungstheoretiker, Prepper (Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten) und Impfgegner – mit ihren unerfüllbaren Wünschen unberücksichtigt, so bliebe auf Seiten der regierungskritischen Antipoden innerhalb der Diskurswelt eine Mehrheit zurück, welche durch die grundgesetzlichen Einschränkungen, die es ja momentan tatsächlich gibt, schlichtweg massiv verunsichert wird.

Menschen mitnehmen und teilhaben lassen

Im Sinne der Harmonisierung gilt es, diese Menschen "ins Boot zu holen", statt ihnen mehr oder weniger unverblümt mitzuteilen, dass Unverständnis und Skepsis bedeutungsgleich mit mangelnder Sachkenntnis und fehlendem Intellekt sind. Es ist also durchaus möglich, die universelle und absolute Gültigkeit des Grundgesetzes als rationalen Standpunkt zu begreifen, als "Bürgerecht und Bürgerpflicht", statt als von chronisch unzufriedenen Wutbürgern und Querulanten konstruierte Stimmungsmache.

Hier hat die privatwirtschaftliche Kommunikation der politischen Sphäre einiges voraus, denn ansonsten ließe sich nicht erklären, warum Joe Kaeser Luisa Neubauer einen Posten im Aufsichtsrat von Siemens anbietet, statt ihr schlichtweg mitzuteilen, dass sie von betriebswirtschaftlicher Verwertungslogik wohl offensichtlich nicht genug versteht, um das Handeln eines multinationalen Unternehmens aussagenlogisch beurteilen zu können.

Gleiches gilt für den Föderalismus, die deutsche Gerichtsbarkeit und das derzeitige Exekutivhandeln. Dabei ist es im Sinne einer Harmonisierung aber durchaus möglich, all diese Punkte anzuerkennen, ohne von der eigenen Meinung abzurücken. Eine Verschärfung des Diskurses nach den Regeln des sogenannten Minimalgruppenschemas – also einer Konfliktlegitimation, welche allein aus dem Umstand erwächst, dass Ego selbst "hier" steht, während Alter sich "dort drüben" aufhält – dürfte jedoch aufgrund der Relevanz des Themas sowie des ohnehin allgemein angespannten politischen Klimas nicht zielführend sein.

Arbeit mit Analysewerkzeugen

Ziel der politisch Verantwortlichen sollte es sein, mit Analysewerkzeugen zu arbeiten, welche Stimmungsbilder zu gesamtgesellschaftlich relevanten Themen wie der Corona-Krise frühzeitig erkennen, so dass eine anschließende Handlungsempfehlung im Sinne kommunikativer Harmonisierung bereits dann erarbeitet werden kann, wenn sich die "Fronten" noch nicht "verhärtet" haben.

Kommunikation ist damit also bei weitem kein PR-Stunt, der nur unangenehme Notwendigkeiten hübsch verpackt in der Hoffnung, damit zu blenden und zu täuschen und vom Wesentlichen abzulenken. Vielmehr berücksichtigt sie die Vielschichtigkeit postmoderner, digitalisierter Gesellschaften, damit auch jenseits von Blockdenken und nach dem "Ende der Geschichte" Raum besteht für eine gemeinsame, integrative und das Gemeinwohl fördernde Erzählung unserer Realität.


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Titelbild: iStockphoto / simonkr