"Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt / All uns nieder; das Laid beuget gewaltiger; / Doch es kehret umsonst nicht / Unser Bogen, woher er kommt."

Tatsächlich, selten lagen die Schönheit und die Großartigkeit und Bedeutsamkeit von Hölderlin so auf der Hand wie heute: in Corona-Zeiten. Die elaborierten Argumentationsketten, warum uns der schwäbische Dichter vergangener Zeiten auch im 21. Jahrhundert noch etwas zu sagen habe, die Gegenpredigten können wir uns alle sparen. Wir müssen dem Schicksal dafür danken, dass der 250. Geburtstag des Poeten in diese unwirklichen Tage der Einsamkeit und Distanz fällt, die sich womöglich zu Wochen und Monaten ausdehnen werden.

Die ganze Welt ist im Lockdown. Die Grenzen schließen. Hölderlin aber zerreißt den Himmel. "Komm! ins Offene, Freund!" Hölderlin zersprengt nicht nur die Wolken, er zerfetzt das Präsens, oft zerstört er Maß und Logik. Als Theologie-Student feiert er im engen Tübingen die Revolution. Seine Liebe zur Freiheit hielt an, er verweigerte sich der vorbestimmten Laufbahn als Pfarrer, er drängte und nutzte die Möglichkeiten der neuen Zeit, zog durch die Welt und nahm das Scheitern in Kauf. Hölderlin, der moderne Mensch, der Mensch im Aufbruch. "Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, / Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen, / Daß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."

Hölderlin schmückt diese Welt mit purer Schönheit.

"Aber schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings
Aufgegangen das Tal, wenn mit dem Neckar herab
Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume
Zahllos, blühend weiß, wallen in wiegender Luft,
Aber mit Wölkchen bedeckt an Bergen herunter der Weinstock
Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft."

Er liebte die Welt schmerzlich

Hölderlin ist der Mann für die Isolation, weil er die Schätze offenbaren kann, die uns allen zur Verfügung stehen, den Reichtum des Lebens, der im Homeoffice ebenso seine Kraft entfalten kann wie – nun ja – beim 24/7-Kinderhüten. Seine asklepiadeischen Strophen sind rein, seine Syntax strahlend, und so kann er sie gezielt zerrütten. "Ach da rauschte der Strom zögernd hinaus ins Land / Traurigfroh, wie das Herz, wenn es sich selbst zu schön / Liebend unterzugehen / In die Fluthen der Zeit sich wirft".

Hölderlin zerriss es das Herz. Natürlich ist seine Schönheit nur deswegen so schön, weil sie gefährdet ist, zart und auch ein bisschen fragwürdig. Die Erfüllung findet sich in der Vergangenheit, in der griechischen Traumwelt – oder in einer Zukunft, die sich aber schwerlich aus der Gegenwart entwickeln kann. Hölderlin wehrte dem Optimismus. Er liebte die Welt so schmerzlich, weil alles Schöne vorbei ist. "Götter wandelten einst bei Menschen, die herrlichen Musen / Und der Jüngling, Apoll, heilend, begeisternd wie du." Wir schauen mit Hölderlin in ein scheinbar helles Gestern, als die Demokratie, die Gesellschaft, die Ökonomie, das gemeinsame Glas Whiskey am Abend, als Socialising und Start-ups noch funktionierten.