The "Military Enlightenment" in Europe

les "Lumières militaires" en Europe

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Seit einigen Jahrzehnten blüht die „neue Militärgeschichte“ auf: Im Gegensatz zu der älteren Schlachten- und Kriegsgeschichte behandelt sie das Militär aus einer sowohl sozialhistorischen als auch mentalitätsgeschichtlichen Perspektive heraus, die zu vollkommen neuen Fragen führt. Im Mittelpunkt des aktuellen Forschungsinteresses stehen vor allem die Wechselwirkungen zwischen Militär und Gesellschaft, wie der Name des „Arbeitskreises zu Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ (https://amg.hypotheses.org/) andeutet. Diese Neuorientierung und die daraus entstandenen neuen Fragstellungen kommen ursprünglich aus der Annales-Schule Frankreichs und insbesondere von André Corvisier, der als Professor an der Sorbonne diese neue, sozialgeschichtlich orientierte Forschungsrichtung im Bereich der Militärgeschichte initiierte. Seitdem hat Corvisier Schule gemacht: sowohl in Frankreich, wie die neue Quellenedition der Militärhistoriker Hervé Drévillon und Arnaud Guinier es bezeugt, als auch in Deutschland vor allem unter der Leitung von Bernhard R. Kroener, dessen Lehrstuhl für Militärgeschichte an der Universität Potsdam bezeichnenderweise als „Kulturgeschichte der Gewalt“ umbenannt wurde. Laut Kroener sei das Verständnis der neuzeitlichen Geschichte nicht möglich, wenn man sich nicht auch mit den Implikationen des Krieges und den Strukturen des Militärs in Gesellschaft und Staat auseinandersetze. Gerade die Relevanz der wechselseitigen Sozialbeziehungen zwischen Militär und Gesellschaft hatte die angelsächsische Forschung ihrerseits schon früh erkannt. Ende der siebziger Jahre prägte sie die „New Military History“, für die die bereits 1956 publizierte Antrittsvorlesung von Michael Roberts mit dem 

bahnbrechenden Konzept von „Military Revolution“ ausschlaggebend war. Trotz der seitdem vielen Korrekturen und Kritiken an seiner These bliebt seine grundlegende Einschätzung weiterhin unwidersprochen, dass der moderne Staat in erster Linie Kriegsstaat war, dessen Hauptsorgen die Aufstellung, Vergrößerung und Unterhalt seiner Kriegsmacht galt. Das Militär – als soziale Gruppe in sich sowie dessen Wirkungen und Repräsentationen – steht somit im Mittelpunkt der neuen militärhistorischen Forschung. Ziel ist es dabei, die Rolle des Militärs als Teil der frühneuzeitlichen Gesellschaft umfassend herauszuarbeiten und zu würdigen. Insofern versteht sich die „neue Militärgeschichte“ als Beitrag zur Geschichte der Frühen Neuzeit insgesamt.

Zugleich erlebt seit ungefähr 10 Jahren die Aufklärungsforschung eine Neubelebung: Gegenüber neuen Formen terroristischer Gewalt wird die Rolle der Aufklärung und ihre Pertinenz häufig polemisch hinterfragt. Die allenthalben aufgebrochenen Formen vom religiösen Fanatismus stellen den unterstellten Erfolg und die Zukunft des ‚Projekts Aufklärung‘ so sehr in Frage, wie niemand das in den 1960er- und 1970er-Jahren für möglich gehalten hätte. Somit verankert sich das hier skizzierte Projekt an der Schnittstelle zweier aufblühender Forschungsbereiche.

header_lumieres-militaires.jpgDa allein im 18. Jahrhundert gut sechzig Jahre Krieg mit deutscher Beteiligung herrschte, waren die Öffentlichkeit und insbesondere die Vertreter der Aufklärung zwangsläufig mit Kriegsmaschinerie, Schlachten, Kriegspropaganda und politischen Folgen kriegerischer Gewalt konfrontiert. Diese Beschäftigung entsprach nämlich einem der Merkmale der „Aufklärung“, indem sie als „kritisches Denken in praktischer Absicht“ auf die Veränderung der vorgefundenen Verhältnisse zum Zweck ihrer Verbesserung zielte. Die Betonung moralischer Pflichten, die primär auf weltliche Ziele gerichtet waren, beeinflusste nicht nur das sittliche Handeln in individuellen zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern als Leitmotiv des menschlichen Handelns schloss der Begriff der „Nützlichkeit“ vielmehr die Verpflichtung gegenüber dem Ganzen, der Gesellschaft, den Mitmenschen, der Nation ein. Betont wurde das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Menschheit und dem Gemeinwesen, was voraussetzte, dass die Aufklärer von deren Gestaltungs- und Verbesserungsfähigkeit überzeugt war.

Als Angehörige einer ausgebildeten Elite blieben auch die Offiziere und Militärexperten von damals neuentstandenen Wissenschaften und vom neuen Verständnis vom Menschen nicht unberührt. In den 1760-1780er Jahren stand die militärische Frage im Mittelpunkt aller Sorgen und dies umso mehr, als zahlreiche gravierende Defizite im Laufe des österreichischen Erbfolgekrieges und vor allem während des Siebenjährigen Krieges offensichtlich wurden. Die preußische Armee galt seit diesem Zeitpunkt als Modell für die Reformprogramme der französischen Armee. Deshalb fuhren damals zahlreiche Militärexperten nach Preußen, um sich die Manöver und Revuen des Preußenkönigs Friedrich II. anzusehen und die dortige Militärorganisation vor Ort zu studieren. Insbesondere die unterschiedlichen Schlachtordnungen sowie die Disziplin wurden gründlich diskutiert. Denn das Militär war ein Gebiet, das sich nicht leicht – vor allem mit ausländischen, „fremden“ Vorbildern – reformieren ließ. Die Debatte, die sich angeblich mit technischen Militärfragen beschäftigte, verbarg aber eine andere Ebene, die die Definition der Nation selbst anrührte. Nur diese unterschwellige Streitfrage erklärt die Heftigkeit, mit der die Militärfragen diskutiert wurden und weshalb sich ein breites Publikum außerhalb des verschlossenen Kreises der Militärexperten auch dafür interessierte und in der Öffentlichkeit unterschiedliche Positionen bezog. Deshalb waren die Vertreter der Aufklärung in Frankreich und in Preußen intensiv an dieser Debatte beteiligt und deshalb stehen gerade diese beiden Gruppen und deren Interaktionen im Mittelpunkt meines neuen Forschungsprojektes.

Ziel ist also folgende Fragen zu untersuchen:

  1. Inwiefern beeinflussten die Ideen der Aufklärung die Ausbildung sowohl der Offiziere als auch der Soldaten? Welche Ideen herrschten vor, zu welchem Zweck, durch welche Mittel?
  2. Inwiefern prägte die Aufklärung die Art und Weise, wie Krieg geführt werden sollte? Was wurde unter Kriegskunst/-wissenschaft verstanden?
  3. Wie reagierten die Aufklärer und die Öffentlichkeit insgesamt auf das Militär und auf das Kriegsphänomen?
  4. Durch welche Mittel, Wege und Akteure fand der Austausch unter den unterschiedlichen Eliten und Mitgliedern der Armeen in Europa statt? Wie fand die Zirkulation der Ideen tatsächlich im Alltag statt?

 

Deshalb sind die Begegnungsorte der Zivilgesellschaft und der Militärmitglieder vom besonderen Interesse, wobei „Orte“ nicht allein im übertragenden Sinne des Wortes verstanden werden, sondern umfassen auch allerlei Publikationen sowie Zeitschriften (wie die „Minerva“ von Archenholz in Hamburg) und Artikel der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert (1750-1777) und von Zedler (1732-1754). Der Begriff „Orte“ umfasst weiterhin sowohl die „typischen“ Begegnungsorten der Eliten, wie die Salons, die Lesegesellschaften, die „zivilen“ und Militär-Akademien, die Zeitschriftenredaktionen usw., als auch die weiteren, unerwarteten Begegnungsorte wie zum Beispiel die Häusern, in denen die Soldaten gewohnt haben, und auch die Kneipen, in denen die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kreisen sich getroffen haben sollen. In einer zweiten Etappe müssen auch die Vermittlungsmittel berücksichtigt werden, insbesondere die Zeitschriften und die theoretischen Schriften, die über die Grenzen ihres Fachpublikums hinaus eine breite Leserschaft erreicht haben, wie z.B. der „Versuch über die Taktik“ (Essai général de tactique, 1772) von Jacques Antoine Hippolyte Guibert (1743-1790). Somit verankert sich das Projekt methodisch in den Bereich der Kultur- und Wissenstransferforschung und stellt eine innovative Verbindung zwischen Militär und Aufklärung her.

Über den Comte de Guibert (1743-1790) als Denker und Vertreter der sogenannten „Lumières militaires“ arbeitet Prof. Deflers zurzeit mit Hervé Drévillon zusammen an einem Sammelband.
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